Psychologie der Ernährung

Von all den Entscheidungen, die eine Auswirkung auf unseren CO2-Fußabdruck haben, treffen wir im Alltag wohl kaum eine so häufig, wie die Entscheidung, was als nächstes auf unserem Teller und schließlich in unserem Magen landen soll. Dabei hängt diese Entscheidung maßgeblich von der Esskultur ab, die uns bereits früh durch die Bezugspersonen, die uns versorgen, vermittelt wird. So lernen wir nicht nur, welche Nahrungsmittel als Grundnahrungsmittel regelmäßiger Bestandteil unserer Esskultur sind und wie man unterschiedliche Nahrungsmittel miteinander kombiniert, sondern wir lernen auch ganz allgemein, welche potenziellen Nahrungsmittel überhaupt als essbar gelten. Was das mit Psychologie zu tun hat, das erklären wir euch in den folgenden Infobereichen.

Trotz der offenkundigen Vorteile einer pflanzenbasierten Ernährungsweise für das Klima (u.a. weniger CO2 Emissionen, geringerer Wasserverbrauch, weniger Landnutzung; vgl. Schröder, 2017; Pimentel et al., 2014; Steinfeld, Mooney, & Schneider, 2010) fällt es vielen Menschen schwer, ihre Ernährungsgewohnheiten zu verändern.

Dies ist zunächst einmal nachvollziehbar, denn Gewohnheiten sind automatisiert und erleichtern uns den Alltag, da sie kaum kognitive Kapazitäten beanspruchen. Sie entstehen, wenn wir bestimmte Verhaltensweisen wiederholt ausführen (Carden & Wood, 2018). Bei unseren Essgewohnheiten können wir häufig gar nicht nachvollziehen, wie sie entstanden sind. Wir haben das halt immer schon so gemacht.

Wenn ein Verhalten zu einer Gewohnheit geworden ist, kostet es wiederum Anstrengung, wiederholt entgegen dieser Gewohnheit zu handeln, um dadurch eine neue Gewohnheit entstehen zu lassen. Um diese Entwicklung von der alten zur neuen Gewohnheit zu erleichtern, kann es helfen, sich die folgenden Techniken zu Nutze zu machen:

  1. Implementationsabsichten: Bei dieser Methode der Selbstregulation wird eine Situation mittels “Wenn….,dann…”-Form mit einem Verhalten verknüpft. So können antizipierte Hindernisse im “Wenn…”-Teil integriert werden, während der “dann…”-Teil eine Strategie beschreibt, die dem angestrebten Ziel (=der Etablierung der neuen Gewohnheit) dienlich ist (vgl. Hamann, Baumann, & Löschinger, 2016).
    Ein Beispiel: “Wenn es in der Mensa kein leckeres vegetarisches oder veganes Gericht gibt, dann werde ich meine Freunde fragen, ob wir woanders etwas essen gehen können”.
  2. Prompts: Sogenannte Prompts bzw. Erinnerungen können gerade zu Beginn hilfreich sein. So können etwa Post-Its am Kühlschrank an die angestrebte neue Ernährungsweise erinnern und auch Erinnerungen auf dem Handy (z. B. mittels Termin-Erinnerung) sowie auf der Einkaufsliste können das gewünschte Ziel der Etablierung einer neuen Ernährungsweise ins Bewusstsein rufen.
  3. Kontextveränderung: Vielleicht der einfachste und zugleich ein sehr effektiver Weg besteht darin, die Umgebung zu verändern bzw. andere Umgebungen aufzusuchen. Wenn ich beispielsweise bewusst in ein Restaurant gehe, welches nur vegane oder vegetarische Speisen anbietet, dann werde ich dort erst gar nicht in Versuchung kommen, meiner alten Gewohnheit des Fleischessens nachzugehen. Wenn ich mich zudem mit Menschen zum Kochen verabrede, die sich vegan oder vegetarisch ernähren, erleichtert mir dies ebenfalls die Ernährungsumstellung. Zudem zeigt sich, dass vor allem eine Änderung der Lebensumstände (beispielsweise durch einen Umzug oder den Beginn eines Studiums) den Aufbau neuer Gewohnheiten erleichtern kann.
  4. Selbstverpflichtung aussprechen: Wenn wir anderen gegenüber ankündigen, dass wir ausprobieren wollen, einen Monat lang vegan zu leben, dann gehen wir in gewissem Maße einen sozialen Vertrag ein. Unser soziales Umfeld weiß nun von unser beabsichtigten Ernährungsweise und wird uns darauf hinweisen, wenn wir davon abweichen. Der so erzeugte soziale Druck kann als zusätzlicher Motivator wirken, der uns dabei hilft, dabei zu bleiben und entgegen unser alten Gewohnheit zu handeln.

Verhaltensänderungen in der Ernährung beginnen mit dem Wunsch nach einer Veränderung, der auf emotionalen und/oder rationalen Gründen beruht. Sobald wir uns einmal bewusst sind, warum wir unsere Ernährungsweise verändern wollen, ist bereits ein großer Schritt getan.


Quellen

  • Carden, L., & Wood, W. (2018). Habit formation and change. Current Opinion in Behavioral Sciences, 20, 117-122.
  • Hamann, K., Baumann, A., & Löschinger, D. (2016). Psychologie im Umweltschutz. Handbuch zur Förderung nachhaltigen Handelns. München: Oekom.
  • Pimentel, D., Berger, B., Filiberto, D., Newton, M., Wolfe, B., Karabinakis, E., ... & Nandagopal, S. (2004). Water resources: agricultural and environmental issues. BioScience, 54(10), 909-918.
  • Schröder, T. (2017). Wasser und Vegetarismus. Der Kritische Agrarbericht 2017, 239-242.
  • Steinfeld, H., Mooney, H. A., Schneider, F., & Neville, L. E. (Eds.). (2013). Livestock in a changing landscape, volume 1: drivers, consequences, and responses. Island Press.

Von all den Entscheidungen, die eine Auswirkung auf unseren CO2-Fußabdruck haben, treffen wir im Alltag wohl kaum eine so häufig, wie die Entscheidung, was als nächstes auf unserem Teller und schließlich in unserem Magen landen soll. Dabei hängt diese Entscheidung maßgeblich von der Esskultur ab, die uns bereits früh durch die Bezugspersonen, die uns versorgen, vermittelt wird. So lernen wir nicht nur, welche Nahrungsmittel als Grundnahrungsmittel regelmäßiger Bestandteil unserer Esskultur sind und wie man unterschiedliche Nahrungsmittel miteinander kombiniert, sondern wir lernen auch ganz allgemein, welche potenziellen Nahrungsmittel überhaupt als essbar gelten.

Ein Blick über den Tellerrand der eigenen Esskultur zeigt dabei, dass es vor allem in Bezug auf tierische Lebensmittel große Unterschiede gibt, welche Lebensmittel als normaler Bestandteil der eigenen Kultur wahrgenommen werden, und welche als abstoßend und ekelerregend gelten. Während es für einen Großteil der Menschen hierzulande z. B. völlig normal ist, das Fleisch von Schweinen zu essen, gibt es viele Kulturkreise, in denen der Gedanke an den Konsum von Schweinefleisch Ekel auslöst. Umgekehrt können sich wahrscheinlich die meisten Menschen hierzulande schlecht vorstellen, gebratene Vogelspinne zu essen (wie in Kambodscha üblich) oder sauer eingelegte Widderhoden (eine isländische Spezialität). 

Da in den verschiedenen Kulturen unterschiedliche Tiere als essbar gelten, ist davon auszugehen, dass das Ausbleiben des Ekelgefühls beim Verzehr bestimmter Tiere größtenteils oder gar vollständig erlernt ist. Im Rahmen dieses Lernprozesses entwickeln wir so im Laufe unseres Lebens ein unbewusstes Glaubenssystem, das uns darauf konditioniert, bestimmte Tiere zu essen, ohne dabei Unbehagen zu verspüren. Dieses Glaubenssystem wird auch als Karnismus bezeichnet.

Der Karnismus hält jedoch nicht nur Ekel von uns fern, sondern auch Gefühle wie Schuld, Scham, Empörung oder Trauer, die entstehen könnten, wenn wir uns wirklich einmal damit befassen würden, was unser Konsum tierischer Produkte eigentlich für unsere Mitgeschöpfe, unsere Umwelt und letztlich auch uns Menschen bedeutet.
Damit dies gelingt, bedient sich der Karnismus einer Reihe von Abwehrmechanismen:

  • Verleugnung/Unsichtbarkeit: Zunächst einmal bleibt Karnismus dadurch unsichtbar, dass er nicht als solcher benannt wird. Karnismus ist so allgegenwärtig und gesellschaftlich und institutionell so tief verankert, dass er – Im Gegensatz zum Veganismus – überhaupt nicht als eine Ideologie erkannt wird. Darüber hinaus bleiben die Opfer des Karnismus unsichtbar.
    Zu diesen Opfern zählen zunächst einmal die Tiere. So werden wir in unserem Alltag nicht unmittelbar Zeuge davon, wie Tiere aufwachsen, wie sie transportiert und letztlich entgegen ihrem Willen getötet werden. Die Leugnung des Leids wird darüber hinaus durch Werbung verstärkt, die oft kein realistisches Bild der Lebensbedingungen von Tieren abbildet.
    Darüber hinaus sind aber auch wir Menschen Leittragende dieses Systems: Seien es die Arbeiter in Schlachtbetrieben aus Osteuropa, die Menschen, die begünstigt durch einen zu hohen Fleischkonsum an einer Zivilisationskrankheit wie Darmkrebs erkrankt sind, oder all diejenigen, die aktuell unter der COVID-19 Pandemie leiden – einer pandemischen Zoonose, die wohl nicht entstanden wäre, wenn wir keine Tiere essen würden.
  • Rationalisierung/Mythen: Karnismus lehrt uns, an die 3 N’s der Rechtfertigung zu glauben:
    Tiere zu essen sei
    normal
    natürlich
    & notwendig.
    Dabei ist die Tatsache, dass etwas als „normal“ angesehen wird, noch lange kein Grund dafür, dass es auch richtig oder gut ist. So ist es in einigen Regionen der Welt normal, dass giftiges Abwasser in Flüsse geleitet wird oder dass auf Homosexualität die Todesstrafe steht.
    Und auch die Natürlichkeit von etwas bedeutet nicht zwangsläufig, dass es wünschenswert ist – Beispielsweise sind Medikamente etwas künstlich hergestelltes und „Unnatürliches“. Gleichzeitig würde wohl kaum jemand befürworten, wenn ab morgen keine Medikamente mehr ausgegeben werden und dadurch Tausende Menschen vorzeitig sterben.
    Bezüglich der vermeintlichen Notwendigkeit tierischer Produkte besteht mittlerweile wissenschaftlicher Konsens, dass eine gut geplante und ausgewogene vegane Ernährung bedarfsdeckend sein kann. Dieser Konsens wird mittlerweile auch von mehreren internationalen Ernährungsgesellschaften vertreten, wie in diesem Video schön dargestellt wird:
    https://youtu.be/Qa-OaQYUkVs
    Insgesamt wurden die 3 N’s der Rechtfertigung in der Geschichte schon häufig genutzt und werden auch aktuell noch genutzt, um gewalttätige Ideologien zu rechtfertigen (z. B: Sklaverei, das Patriarchat)
  • Kognitive Verzerrungen. Karnismus verzerrt die Wahrnehmung unserer Wirklichkeit und bedient sich dabei der folgenden drei Mechanismen:
    1. Verdinglichung: Bezeichnet den Prozess, wonach ein lebendiges Wesen als unbelebtes Objekt betrachtet wird, d. h. als ein Ding. Verdinglichende Sprache ist ein sehr wirksames Mittel, um sich von etwas zu distanzieren und zeigt sich auch in dem Wort „Nutztier“. Die Verdinglichung wird dabei auch durch Institutionen und Gesetze legitimiert, etwa indem Tiere rechtlich gesehen als Eigentum betrachtet werden.
    2. Ent-Individualisierung: Dies bedeutet, dass Individuen lediglich als Teil einer bestimmten, homogenen Gruppe mit identischen Eigenschaften betrachtet werden und nicht als Individuen. Wenn man beispielsweise an Schweine denkt, die zur Fleischgewinnung aufgezogen werden, dann werden diese typischerweise nicht als einzelne Individuen mit unterschiedlicher Persönlichkeit und unterschiedlichen Präferenzen wahrgenommen.
    3. Dichotomisierung: Wir teilen Lebewesen in gegensätzliche Kategorien ein in Abhängigkeit davon, was wir über sie denken. Was Fleisch anbelangt, sind die zwei Hauptkategorien, in die wir Tiere einordnen, die Kategorien „essbar“ und „nicht essbar“. Die meisten Menschen essen keine Tiere, die sie als intelligent erachten (z. B. Delfine, Hunde) aber regelmäßig jene, die in ihren Augen nicht klug sind (z. B. Kühe, Hühner). Auch vermeiden wir den Verzehr von Tieren, die wir niedlich finden (z. B. Kaninchen) und essen stattdessen Tiere, die uns weniger gefallen (z. B. Puten).

Quellen

  • Joy, M. (2018). Warum wir Hunde lieben, Schweine essen und Kühe anziehen. (8. Aufl.). Compassion media.

Weiterführende Informationen zum Thema

  • Der geheime Grund, warum wir Fleisch essen. YouTube Video von Melanie Joy, welches das Konzept des Karnismus erklärt: https://youtu.be/ao2GL3NAWQU
  • Armin Rohm: Der Mensch isst aus Gewohnheit Tier. YouTube Video, was viele psychologische Mechanismen in Bezug auf die Ernährung gut erklärt und auch ein Modell beschreibt, wie wir unsere Abwehrmechanismen überwinden können. https://youtu.be/8EBsnRiHc1c
  • Eine Website zum Thema Karnismus: https://carnism.org/

Wir möchten hier zu Beginn einmal anmerken, dass du herzlich eingeladen bist, dich ganz unabhängig von deinem momentanen Konsum mit dem Thema Kommunikation zu beschäftigen, also unabhängig davon, ob du gerade vegan oder vegetarisch lebst, ob du dich bemühst, deinen Konsum tierischer Produkte zu reduzieren, oder ob du gerade erst angefangen hast, dich mit dem Thema zu beschäftigen.

Das klingt vielleicht für manche jetzt etwas merkwürdig und gestelzt, doch damit spreche ich schon einen ganz wichtigen Aspekt der Kommunikation an, über den viel gestritten wird (Leenaert, 2017).

Wer darf wie über Ernährung reden?

Hier möchten wir ganz bewusst alle Menschen einladen, sich dem Thema anzunehmen und darüber mit Anderen ins Gespräch zu kommen. Nicht nur konsequente Veganer*innen, die in wirklich jeder Lebenslage und Situation tierische Produkte vermeiden, ist es vorbehalten, sich für Umwelt und Tierwohl einzusetzen. Je mehr Menschen sich engagieren, desto größer ist die Wirkung, die wir erzielen. Neben vielen Veganer*innen, die sich aktivistisch engagieren, gibt es auch viele Vegetarier*innen oder Menschen, die ihren Konsum tierischer Produkte reduzieren, die nicht nur trotzdem, sondern vielleicht auch gerade deswegen viele Menschen überzeugen können, den Konsum tierischer Produkte zu überdenken und reduzieren. Sie erreichen oft viele Menschen, da sie im Vergleich zu Veganer*innen meist weniger Gewissensbisse, negative Gefühle und Ablehnung hervorrufen und erreichbarer scheinen (Leenaert, 2017).

Das Thema Kommunikation ist gerade im Kontext Ernährung spannend, denn obwohl die meisten Menschen gerne essen und über Essen reden, ist es doch oft nicht so einfach, Gespräche über den Konsum tierischer Produkte zu führen. Ernährung kann dann schnell zu einem sensiblen und heiklen Thema werden. Wir haben hier deshalb verschiedene Herausforderungen, sowie Erklärungen und Lösungen gesammelt, die helfen können, die eigene Kommunikation zum Thema Ernährung zu reflektieren und zu verbessern.

Warum Argumente nicht alles sind

Es gibt viele gute Argumente, die für eine vegane Ernährung sprechen und viele Möglichkeiten, Gegenargumente von Fleischesser*innen zu entkräften, wie die Albert-Schweizer-Stiftung hier zeigt. Dennoch reichen gute Argumente oft nicht aus, um andere Menschen davon zu überzeugen, ihre eigene Ernährung zu reflektieren und zu verändern.

Stattdessen kann eine Überhäufung mit Argumenten sogar negativ wirken und vermehrt Skepsis hervorrufen, so dass überzeugte Fleischesser*innen durch die Auseinandersetzung dann noch weiter in ihrer Position gefestigt werden (z.B. Shu & Carlson, 2014; Cacioppo & Petty, 1979). Der sogenannte Bestätigungsfehler (engl. Confirmation bias) führt beispielsweise dazu, dass Aussagen so interpretiert werden, dass sie den Erwartungen des Empfängers entsprechen (Wason, 1968). Das heißt, Menschen hören oft das, was sie auch hören möchten und vernachlässigen Informationen, die nicht ins Bild passen. In Gruppendiskussionen kann es dann passieren, dass Argumente gegen vegane Ernährung als wichtiger bewertet werden als Argumente für vegane Ernährung, wenn letztere der eigenen Meinung widersprechen.

Außerdem erinnern sich Menschen nach Unterhaltungen nicht nur an die Inhalte, die besprochen wurden, sondern noch mehr an ihre eigene Reaktion, ihre Empfindungen und ihr Verhalten im Gespräch (Greenwald, 1968). Besteht das Gespräch also z.B. aus einem Schlagabtausch von Argumenten, wo beide Seiten vor allem ihre eigene Meinung vertreten und verteidigen, erinnert sich die andere Person möglicherweise anschließend vor allem an ihre eigenen Argumente und wird in ihrer Position gefestigt. Gerade wenn es dann auch etwas unbequemer und hitziger wurde, erinnern sich Menschen dann an die negativen Emotionen, die aufkamen, beim Gespräch über Veganismus. Wenn dann in Zukunft Gespräche über Veganismus mit negativen Emotionen assoziiert werden, hindert das Menschen oft sich weiter mit dem Thema zu beschäftigen.

Hier kann es also helfen, eine angenehme Gesprächsatmosphäre zu schaffen, die Streitgespräche vermeidet und einen kollaborativen Austausch ermöglicht.

Eine angenehme Gesprächsatmosphäre schaffen

In diesem Artikel Spickzettel für Gespräche zur Klimakrise unserer Kommunikations-AG wurden einige Tipps gesammelt, die helfen können, die oben genannten Herausforderungen zu überwinden und eine angenehme und kollaborative Gesprächsatmosphäre zu schaffen. Viele der dort genannten Aspekte spielen auch in Gesprächen über Ernährung eine wichtige Rolle. Besonders möchten wir hier noch einmal den Aspekt der inneren Haltung hervorheben. Reflektiere diesbezüglich zunächst deine Gesprächsziele.

Will ich Recht haben und die andere Person argumentativ „besiegen“ oder möchte ich die andere Person für meine Sache gewinnen?

Zweiteres trägt vermutlich mehr dazu bei, dass sich die andere Person anschließend positiv an das Gespräch erinnert und sich weiter mit dem Thema auseinandersetzen möchten. Die im Spickzettel genannten Aspekte wie z.B. sich auf Augenhöhe begegnen, persönliche Geschichten erzählen, Fragen stellen, Gemeinsamkeiten finden und zuhören helfen dabei, genau das zu erreichen.

Warum das Aufzeigen von Widersprüchen manchmal nach hinten losgeht

Wenn man Menschen fragt, sprechen sich viele für das Wohl von Tieren aus und lehnen Massentierhaltung ab, doch trotzdem isst ein Großteil der Bevölkerung nach wie vor tierische Produkte und unterstützt damit Tierleid (Statista, 2020; Faunalytics, 2019, Rothgerber, 2014). Man mag meinen, dass Menschen ihr Verhalten reflektieren und ändern, sobald dieser Widerspruch aufgedeckt wird. Leider ist das aber in vielen Fällen nicht der Fall. Eine Erklärung dafür liefert das psychologische Phänomen der kognitiven Dissonanz (Festinger, 1957). Kognitive Dissonanz bezeichnet das Aufkommen negativer Gefühle und Gedanken in Situationen, in denen uns Menschen bewusst wird, dass unser Verhalten im Widerspruch zu unseren Werten steht. Es kann Sinn machen, kognitive Dissonanz zu erzeugen, um Menschen zu Verhaltensänderungen zu motivieren. Da genügt manchmal sogar schon die Anwesenheit einer sich vegetarisch ernährenden Person (Rothgerber, 2014). Wenn es nicht viel Aufwand ist das Verhalten zu ändern, dann funktioniert das tatsächlich oft recht gut. In anderen Kontexten des Klimaaktivismus kann das Erzeugen kognitiver Dissonanz also ein effektives Mittel sein, wie auch hier beschrieben wird. Im Kontext Ernährung wird eine Verhaltensänderung jedoch leider oft als viel Aufwand empfunden und ist auch teilweise gar nicht so einfach und schnell umzusetzen, wie im Teil zu „Essverhalten und Gewohnheiten“ beschrieben. Statt das eigene Verhalten zu ändern, greifen wir Menschen dann zu anderen Strategien, um das unangenehme Gefühl der kognitiven Dissonanz zu reduzieren. Die negativen Gedanken werden z.B. verdrängt oder ignoriert, sodass eine Auseinandersetzung mit dem Thema und den Folgen zukünftig ganz vermieden wird (Festinger, 1957). Alternativ werden oft auch Scheinlösungen und Ausreden gesucht, um die Anspannung zu reduzieren. Tieren wird z.B. das Empfinden von Schmerzen und Gefühlen abgesprochen und ihre kognitiven Fähigkeiten abgewertet (Rothgerber, 2014). Auch können Informationen anders bewertet werden, so dass Werte und Verhalten scheinbar nicht mehr im Widerspruch stehen, z.B. „Fleisch zu essen ist doch gar nicht so schlimm für das Klima“ oder „Wenn ich allein meinen Konsum ändere, bringt das sowieso nichts“. Oft wird auch auf die 3 N’s der Rechtfertigung zurückgegriffen, welche bereits im Teil zu Karnismus beschrieben werden und damit Gründe hervorgehoben, welche für den Verzehr tierischer Produkte sprechen (Rothgerber, 2014). Wenn diese Strategien angewendet werden, führt das letztendlich meist dazu, dass das Verhalten sich nicht ändert und frustrierende Gesprächs-Situationen entstehen. Die beschriebenen Abwehrstrategien zeigen zudem, dass negative Reaktionen auf Vegetarier*innen und Veganer*innen nicht unbedingt persönliche Angriffe darstellen, sondern lediglich psychologische Mechanismen sind, welche genutzt werden, um aufkommendem Unbehagen zu entkommen (Rothgerber, 2014).

Möglichkeiten der ungewollten Dissonanz-Auflösung entgegenzuwirken

(A) Kleinschrittige Veränderungen anstoßen

Wie bereits kurz angedeutet kommt es eher zu Verhaltensänderungen, wenn diese wenig Aufwand bedeuten. Das können wir auch in Gesprächen bewusst nutzen, indem wir Aufforderungen und Botschaften formulieren, welche die Menschen dort abholen, wo sie gerade stehen und welche auf kleinschrittige und machbare Impulse abzielen. Wie im Teil „Essverhalten und Gewohnheiten“ beschrieben, bedarf es Zeit und Aufwand die eigene Ernährung umzustellen. Kaum wer wird über Nacht zum Veganer oder zur Veganerin. Außerdem bleiben Menschen die graduell Veganer*innen geworden sind häufiger auch langfristig dabei (Haverstock & Forgays, 2012). Es ist also völlig in Ordnung, wenn eine Person nach einem einzelnen Gespräch nicht vollkommen überzeugt ist. Jeder kleine Schritt ist ein Erfolg.

Reflektiere vielleicht auch einmal, wie du zum Veganismus gekommen bist. Vor allem frisch gewordene Veganer*innen haben manchmal das Gefühl aufgewacht zu sein, nachdem ein inspirierendes Gespräch oder ein schockierender Film dazu geführt hat sich mit der Ernährungsentscheidung auseinanderzusetzen. Für viele Veganer*innen ist es vielleicht auch kaum mehr vorstellbar wie es ist, ein Stück Fleisch zu essen und allein der Gedanke ruft vielleicht schon Gefühle des Ekels hervor. Hinter all dem steckt aber dennoch meist eine lange Geschichte, in der sich Menschen Stück für Stück dem Thema genähert haben. Vielleicht hat man als Kind Zeit mit Tieren verbracht, ist gerne in den Streichelzoo gegangen oder hat das Thema schonmal in der Schule diskutiert. Oft erinnern wir uns so direkt gar nicht an all die Situationen, die dazu beigetragen haben und am Ende sticht nur noch das letzte Ereignis heraus, das i-Tüpfelchen, das uns schließlich motivierte den letzten Schritt hin zur Veränderung zu gehen.

Was ist also deine Geschichte? Wie bist du zu dem Thema gekommen?

(B) Realistische Handlungsimpulse

Der Handlungsimpuls, den wir setzen, sollte möglichst realistisch für die jeweilige Person sein und an ihre momentane Lebenssituation angepasst werden (Leenaert, 2017). Das bedeutet, dass wir beispielsweise einer Person, die jeden Tag dreimal Fleisch isst, eher vorschlagen sollten, einzelne vegane/vegetarische Rezepte zu probieren oder nur noch am Wochenende Fleisch zu essen, statt sie zu motivieren von jetzt auf gleich vegan zu werden. Den Call to Action können wir an der smarten Zielsetzung orientieren: Ziele sollten demnach spezifisch (s), messbar (m), a (attraktiv), r (realistisch) und t (terminiert) sein (Drucker, 2007). Erwartungen und Ziele einer Konversation sollten dementsprechend immer an die Rahmenbedingungen angepasst werden und auf die Gesprächspartner*innen zugeschnitten sein.

(C) Verhaltensänderungen vor Einstellungsänderungen

In Gesprächen fordern wir selten direkt zu Verhaltensänderungen auf. Meist wird erstmal über Relevanz des Themas diskutiert und verschiedene Argumente ausgetauscht. Gerade hier ist es oft eine große Herausforderung ruhig zu bleiben und nicht mit einem Schwall an Argumenten das Gegenüber klein zu machen. Die schon oben benannten Tipps aus dem Spickzettel für Gespräche zur Klimakrise können Abhilfe schaffen. Vielleicht ist es aber auch gar nicht nötig, andere Menschen argumentativ komplett zu überzeugen. Es kann sinnvoll sein, sich vermehrt auf Handlungsimpulse als auf moralische und ethische Argumente zu beziehen. Studien haben nämlich gezeigt, dass Menschen oft als erstes ihr Verhalten, also ihre Ernährung, verändern und sich erst anschließend ihre Einstellungen ändern. Die Annahme beruht auf der Self-perception Theory von Bem (1972) die davon ausgeht, dass Menschen über sich selbst Schlussfolgern, indem sie ihr eigenes Verhalten beobachten. Deshalb kann es helfen, Menschen nicht mit moralischen Argumenten oder mit striktem Veganismus zu überzeugen, sondern vegane Ernährung erlebbar zu machen. Ladet Freund*innen und Verwandte also vielleicht mal zu gemeinsamen veganen Kochabenden ein oder bringt etwas leckeres Veganes zum nächsten Familientreffen mit. So merken Menschen oft, dass veganes Essen zum einen sehr lecker sein kann und auch gar nicht so kompliziert ist wie vielleicht angenommen. Außerdem können sie, während sie vegan kochen oder essen, quasi für einige Zeit in die Rolle eines oder einer Veganer*in schlüpfen und werden es hoffentlich noch häufiger machen. Nach einiger Zeit ist es dann also gar nicht mehr so undenkbar, Veganer*in oder Vegetarier*in zu werden, sondern vielleicht sogar nur noch einen kleinen Schritt entfernt.

(D) Fokus auf Gesundheitsaspekten & Umweltschutz

Umfragen zeigen zudem, dass Gesundheitsaspekte sowie Umweltschutz häufiger Grund für vegane Ernährungsumstellungen sind als ethische oder moralische Argumente (Hoffmann et al., 2013; Conney, 2014, Hamilton, 2006). So kann es also helfen, in Gesprächen auch diese Aspekte der veganen Ernährung zu betonen, um Menschen zu erreichen. Hier gibt es natürlich auch große individuelle Unterschiede und je nach Zielgruppe zeigen unterschiedliche Argumente Wirkung. Stoll-Kleemann & Schmidt (2015) empfehlen beispielsweise, dass Männer und ältere Menschen oft besser durch Argumente überzeugt werden, die auf gesundheitliche Aspekte abzielen und eine flexiblere Form der veganen Ernährung befürworten. Um dann im Anschluss Menschen zu motivieren weiterzumachen, sind ethische und moralische Aspekte besonders wirkungsvoll. In einer Umfrage von Hoffmann et al. (2013) gaben 25% Vegetarier*innen, welche aus Gesundheitsgründen vegan geworden sind, an, dass sie nun vor allem aus ethischen Gründen am Ball bleiben.

(E) Vegane Gemeinschaften offener gestalten

Schließlich kann für viele Menschen, die weniger tierische Produkte konsumieren möchten, auch die Exklusivität mancher veganen Gemeinschaften eine Hürde sein (Leenaert, 2017; Markowski & Roxburgh, 2019). Veganer*innen finden Unterstützung und sichere Räume in veganen Gemeinschaften, doch da sich Gemeinschaften auch durch Abgrenzung zu Anderen definieren, haben viele Menschen, die sich für das Thema interessieren, jedoch (noch) keine 100%igen Veganer*innen sind, Schwierigkeiten dazuzugehören. In vielen Köpfen steckt das Prinzip „Ganz oder gar nicht“ und da ganz vegan viel Aufwand bedeutet, entscheiden sich dann viele für gar nicht. Hier kann helfen bewusst alle Menschen, die an dem Thema interessiert sind, einzuladen. So wie Tobias Leenaert (2017) schön zusammenfasst, retten viele Menschen, die weniger Fleisch essen in Summe mehr Tierleben, als wenn nur Wenige zu striktem Veganismus überzeugt werden. Auch die sozialen Normen können sich so Schritt für Schritt verändern, ohne dass es nötig ist, von Anfang an die gesamte Gesellschaft von Veganismus zu überzeugen. Deshalb kann es helfen, Schwarz-Weiß-Denken aufzulösen und alle Menschen zu motivieren und einzuladen auf ihre Weise und in ihrem Maße mitzumachen.

Trau dich über Ernährung zu sprechen!

Veganer*innen erleben leider noch häufig Stigmatisierung und Ablehnung durch Fleischesser*innen (Markowski & Roxburgh, 2019). Oft ist das Aufkommen der zu Beginn beschriebenen Kognitiven Dissonanz ein Grund dafür (Festinger, 1957; Markowski & Roxburgh, 2019). Sich das bewusst zu machen, kann manchmal helfen besser mit solchen negativen Reaktionen umzugehen, doch manchmal sind sie vielleicht auch einfach nur schwer zu ertragen. Sei dir deshalb auch im Klaren, dass du nicht gezwungen bist über das Thema zu reden und dass du jederzeit begonnene Gespräche auch wieder verlassen. Wenn du also merkst, dass dich eine Konversation belastet und sich nicht gut anfühlt, beende das Gespräch auf freundliche Weise oder wechsle das Thema. Achte auch anschließend auf dich, horch in dich hinein und falls dich ein Gespräch auch nachträglich noch sehr beschäftigt, hole dir Hilfe und tausche dich mit Gleichgesinnten darüber aus.

Vor lauter Angst vor ablehnenden und abwertenden Reaktionen wollen wir das Thema Ernährung manchmal auch gar nicht erst ansprechen. Wenn du dich nicht danach fühlst, dann lass das Thema ruhig auch außen vor oder vertage es, wenn du darauf angesprochen wirst.

Sich auf Gespräche vorab gut vorzubereiten, kann helfen, Ängste zu reduzieren. Wichtig ist z.B. inhaltlich gut Bescheid zu wissen, um auf mögliche Vorurteile und falsche Annahmen wie „Vegan leben sei ungesund“ reagieren zu können. Erinnere dich außerdem vor und während des Gesprächs immer wieder daran, dass du die andere Person nicht belehren möchtest, sondern bemühe dich ein Gespräch auf Augenhöhe zu führen und eine Atmosphäre des gegenseitigen Austauschs zu schaffen. Falls du besonders große Angst vor Gesprächen zu dem Thema hast, sprich diese, wenn du magst auch gerne explizit an. Offen über die eigenen Sorgen und Ängste zu sprechen ist mutig und kann Gespräche beflügeln. Und gerade Freund*innen und gute Bekannte reagieren sowie meist viel interessierter und positiver als oft befürchtet wird.

Trau dich also ruhig vegane Ernährung zum Thema zu machen. Erzähle deine eigene persönliche Geschichte und Sichtweise und höre dem Gegenüber zu und versuche auch seine oder ihre Sichtweise zu verstehen. Vermutlich werdet ihr nicht gleich auf einen Nenner kommen, doch wirst du zumindest eine Person anregen mal über die Ernährung nachzudenken.


Quellen

  • Bem, D. J. (1972). Self-perception theory. Advances in experimental social psychology6(1), 1-62.
  • Cacioppo, J. T., & Petty, R. E. (1979). Effects of message repetition and position on cognitive response, recall, and persuasion. Journal of Personality and Social Psychology, 37(1), 97–109. https://doi.org/10.1037/0022-3514.37.1.97
  • Cooney, N. (2014). Veganomics: The Surprising Science on What Motivates Vegetarians from the Breakfast Table to the Bedroom. New York: Lantern.
  • Drucker, P. (2007). The Practice of Management (1st ed.). Routledge. https://doi.org/10.4324/9780080942360
  • Faunalytics (2019). Animal Tracker 2019: Contradictions In Public Opinion. Abgerufen 25.12.2020, von https://faunalytics.org/animal-tracker-2019-contradictions-in-public-opinion/#
  • Festinger, L. (1957). A theory of cognitive dissonance (Vol. 2). Palo Alto, CA: Stanford
  • University press.
  • Hamilton, M. (2006). Eating Death: Vegetarians, Meat and Violence. Food, Culture & Society, 9(2), 155–77.
  • Haverstock K., & Forgays, D. (2012). To Eat or Not to Eat: A Comparison of Current and Former Animal Product Limiters. Appetite, 58, 1030–1036.
  • Hoffman, S., Stallings, S., Bessinger, R., & Brooks, G. (2013). Differences between Health and Ethical Vegetarians: Strength of Conviction, Nutrition Knowledge, Dietary Restriction, and Duration of Adherence. Appetite, 65, 139–144.
  • Leenaert, T. (2017). How to Create a Vegan World: A Pragmatic Approach. Lantern Publishing & Media.
  • Markowski, K. L., & Roxburgh, S. (2019). “If I became a vegan, my family and friends would hate me:” Anticipating vegan stigma as a barrier to plant-based diets. Appetite, 135, 1-9.
  • Rothgerber H. (2014). Efforts to overcome vegetarian-induced dissonance among meat eaters. Appetite, 79, 32–41. https://doi.org/10.1016/j.appet.2014.04.003
  • Shu, S. B., & Carlson, K. A. (2014). When Three Charms but Four Alarms: Identifying the Optimal Number of Claims in Persuasion Settings. Journal of Marketing, 78(1), 127–139. https://doi.org/10.1509/jm.11.0504
  • Stoll-Kleemann, S., & Schmidt, U. Johanna. (2017). Reducing meat consumption in developed and transition countries to counter climate change and biodiversity loss: a review of influence factors. Regional environmental change, 17, 1261-1277. doi: 10.1007/s10113-016-1057-5
  • Stastista (2020). Anteil von Vegetariern an der Bevölkerung in Ländern weltweit 2020. abgerufen 25.12.2020, von https://de.statista.com/prognosen/261627/anteil-von-vegetariern-und-veganern-an-der-bevoelkerung-ausgewaehlter-laender-weltweit
  • Wason, P. C. (1968). Reasoning about a Rule. Quarterly Journal of Experimental Psychology, 20(3), 273–281. https://doi.org/10.1080/14640746808400161

Da wir als Psycholog*innen keine Experten für gesunde Ernährung, die Auswirkungen der Ernährung auf unseren Planeten und ethische Überlegungen sind, haben wir im Folgenden ein paar empfehlenswerte Quellen herausgesucht. Falls ihr also mehr dazu wissen wollt, schaut hier gerne nach:

Zu Auswirkungen der Ernährung auf den Planeten

Weitere detailliertere Informationen

Zu gesundheitlichen Aspekten der Ernährung

Zu ethischen Aspekten der Ernährung

Konkrete Infos zur Ernährungsumstellung