Existenziell-psychotherapeutische Sicht
Die Verleugnung der Apokalypse – der Umgang mit der Klimakrise aus der Perspektive der Existenziellen Psychotherapie
Ein Beitrag von Fabian Chmielewski.
Erstveröffentlichung im Psychotherapeutenjournal 3/19, ISSN 1611-0773, www.psychotherapeutenjournal.de
Zusammenfassung: Ein breiter Konsens seriöser Forschung warnt vor dem Szenario einer bald nicht mehr abzuwendenden Spirale des menschengemachten Klimawandels. Trotzdem scheinen sowohl große Teile der Bevölkerung als auch der Entschei-dungsträger sich nicht für die drohende Zerstörung der Welt, wie wir sie kennen, angemessen zu interessieren. Die düsteren Prophezeiungen der Klimawissenschaftler1 werden heruntergespielt oder sogar geleugnet, die nötigen klimapolitischen Schritte werden nicht unternommen. Der Artikel betrachtet diese Phänomene aus der Perspektive der Existenziellen Psychotherapie und versucht hierbei, sowohl auf mögliche Ursachen und Mechanismen dieser Verdrängung hinzuweisen als auch konkrete psychotherapeutische „Interventionen“ abzuleiten. Plädiert wird zudem für eine aktive Beteiligung der Psychotherapeuten an Gesundheitskampagnen gegen diese weit verbreitete „existenzielle Neurose“.
Einleitung
Ein breiter Konsens seriöser Forschung warnt vor dem Szenario einer bedrohlichen und vielleicht bald nicht mehr abzuwendenden Spirale des menschengemachten Klimawandels (z. B. Figuereset al., 2017; Cook et al., 2013). Aktuell weist am deutlichsten und medienwirksamsten eine Bewegung engagierter junger Schüler im Rahmen der „Fridays for Future“-Streiks und Demonstrationen auf das drohende Untergangsszenario hin und verlangt die Umsetzung der von der Wissenschaft geforderten drastischen klimapolitischen Maßnahmen. Sowohl Ärzte als auch Psychologen warnen vor den gesundheitlichen Folgen des Klimawandels und räumen ihm oberste Priorität ein: Der Marburger Bund fordert auf seiner Hauptversammlung: „Der Stopp des vom Menschen gemachten Klimawandels und damit seiner Folgen auf die menschliche Gesundheit muss absolute Priorität auch im gesundheitspolitischen Handeln bekommen“ (Marburger Bund, 2019). Die American Psychological Association hat bereits 2008 eine Task Force zum Thema „Klimawandel“ ins Leben gerufen (Swim et al., 2009) und warnt vor profunden psychosozialen Verwerfungen durch den Klimawandel. In der jüngeren Zeit haben sich global verschiedene Psychologen und Psychotherapeuten in Anlehnung an die Proteste der Jugend mit der Initiative „Psychologists/Psychotherapists for Future“ gleichermaßen positioniert, sie kennzeichnen den Klimawandel als „existenzielle Bedrohung“ (Psychologists for Future, 2019).
Trotzdem leugnen wichtige Entscheidungsträger entweder den menschengemachten Klimawandel komplett oder verharmlosen ihn und die Dringlichkeit des Handlungsdrucks deutlich. Paradox scheint, dass auf der einen Seite die Forderungen der Schüler und der wissenschaftliche Konsens miteinander einhergehen, auf der anderen Seite aber selbst politisch gemäßigte Politiker den Schülern vorschlagen, sich mit der Schule statt dem Klimawandel zu beschäftigen – die Fragwürdigkeit dieses Vorschlags bringt die Aktivistin Greta Thunberg auf den Punkt : „Why should I be studying for a future that soon may be no more, when no one is doing anything to save that future?“ Absurd wird hier das Hochhalten der schulischen Bildung vor dem Hintergrund einer Welt der Erwachsenen, die sich nicht um das langfristige Überleben ihrer Nachkommen kümmert.
Ein großer Teil der Bevölkerung scheint sich nicht angemessen für die drohende Zerstörung der Welt, wie wir sie kennen, zu interessieren und hat – wie es Brick und van der Linden (2018) formulieren – nur ein lethargisches „Gähnen“ für die Apokalypse übrig. Noch fragwürdiger erscheint die Motivation von Personen zu sein, die die menschliche Verursachung des Klimawandels als Lüge abweisen – teils mit erstaunlicher Aggressivität und unter Bezugnahme auf unhaltbare Verschwörungstheorien.
Wie ist diese Verleugnung der Realität zu erklären? Das Handeln gegen das eigene langfristige Interesse und gegen die eigene Rationalität? Sicherlich spielen auf der Seite mancher Entscheidungsträger finanzielle Interessen eine wichtige Rolle: Es gibt Menschen, die willentlich das Wohl der Vielen ihrer individuellen materiellen Bereicherung opfern. Als prominentes Beispiel lässt sich hier das in einer Harvard-Studie untersuchte Vorgehen des Exxon-Konzerns anführen, der seit den 1980er Jahren die Öffentlichkeit bewusst über die Gefahren des menschengemachten Klimawandels getäuscht, gezielt sog. Klimaleugner finanziell unterstützt und bewusst beschwichtigende Falschinformationen verbreitet haben soll – obwohl angeblich eigene interne Forschungen klar die Gefahren aufzeigten und den Zusammenhang des Klimawandels mit CO2-Emissionen bestätigten (Der Spiegel, 2017).
Aber finanzielle Interessen als alleinige Erklärung für eine so weitreichende Verleugnung bei einem Großteil der Weltbevölkerung heranzuziehen, greift zu kurz: Warum sind hier auch gewissenhafte und gebildete Personen von diesen Verdrängungsvorgängen betroffen, die meinen, das langfristige Wohl der Vielen im Blick zu haben? Wieso verschließen sich Menschen bei dieser Thematik dem wissenschaftlichen Konsens und dessen Konsequenzen? Geht es nicht um Leben oder Tod? Steht nicht unsere individuelle und menschheitliche Existenz auf dem Spiel?
Doch. Und vielleicht ist genau das die psychologische Wurzel des Übels. Die Existenzielle Psychotherapie (Yalom, 2005; van Deurzen, 2009; Cooper, 2016) beschäftigt sich mit dem Umgang des Menschen mit existenziellen Grenzsituationen und beschreibt funktionale und dysfunktionale „Antworten“ auf die großen Fragen, die die Existenz an uns stellt (Chmielewski, 2018) – und kann deswegen viel zum Verständnis dazu beitragen, warum Personen verneinen, dass die messbaren Klimaveränderungen vom Menschen beeinflusst seien. Viele der Theorien aus dem Bereich der Existentiellen Psychotherapie werden dabei durch die neuere empirische Forschung gestützt (z. B. Schnell, 2016). Insbesondere die thematisch eng mit der Existenziellen Psychotherapie zusammenhängende Terror Management Theory (TMT; Greenberg, Solomon & Pyszczynski, 2015) wird von Wolfe und Tubi (2019) als „missing link“ zur Deutung der Verleugnung der Bedrohung durch die Klimakrise bezeichnet:
Die Existenzielle Psychotherapie beschäftigt sich mit dem Umgang des Menschen mit existenziellen Grenzsituationen und beschreibt funktionale und dysfunktionale „Antworten“ auf die großen Fragen, die das Dasein an uns stellt.
Die TMT sieht das Bewusstwerden der eigenen Sterblichkeit als Auslöser des zentralen Konfliktes des Menschen an: Wie alle Lebewesen wollen wir unser Überleben sichern – wir wissen aber, dass wir eines Tages unausweichlich sterben werden. Dieses Wissen stelle für den Menschen einen nicht aushaltbaren „Terror“ dar, der durch Ausblendung „gemanagt“ werden müsse, damit ein normales Funktionieren weiterhin möglich ist. Die TMT beschreibt hierzu verschiedene Coping-Strategien, die zum Teil hochgradig dysfunktional sein können und weist diese in unzähligen Experimenten nach. Insbesondere sind hier das Hochhalten von Werten und Gruppenzugehörigkeiten, sowie der Versuch der Selbstwerterhöhung zu nennen. Aus den Theorien und Befunden der existenziell orientierten Richtungen lassen sich auch Interventionen ableiten, die gegen solche Verleugnungsvorgänge eingesetzt werden könnten.
Psychotherapeuten scheuen sich naturgemäß und zurecht davor, Menschen eine bestimmte Sichtweise aufzudrängen. Sie versuchen, ihre eigenen Werte aus der Therapie möglichst herauszuhalten, um Patienten selbstbestimmte Entscheidungen zu ermöglichen. Ausnahmen sind allerdings dann zu machen, wenn es um akute Eigen- oder Fremdgefährdung geht. Wir stellen in diesen Fällen den Wert der physischen Unversehrtheit von Menschen über den Wert der therapeutischen Abstinenz. Haben wir es bei der Klimakrise nicht ebenfalls mit einer – wenn man so will – Eigen- und Fremdgefährdung zu tun, diesmal sogar von globaler Tragweite? Wenn also offenkundig ein gesamtgesellschaftliches Gesundheitsproblembesteht – sind wir dann nicht verpflichtet, mit unserem psychologischen Rüstzeug im Kampf gegen dieses zu helfen? Sollten wir hier nicht versuchen, dem therapeutisch zu begegnen – und nicht mit „gleichschwebender Aufmerksamkeit“ lediglich bei einer bloßen Diagnose stehen zu bleiben?
Unsere besondere Verantwortung als Psychotherapeuten ist zweierlei begründet: Trotz unseres beruflich bedingten analytischen Blickes auf Menschen und die ihn prägende Gesellschaft sind wir selbst Menschen und Teil dieser Gesellschaft. Zum einen ist in ebendieser Rolle als Bürger das Einbringen unserer theoretischen und praktischen Expertise eine Pflicht. Zum anderen haben wir als Angehörige eines Heilberufs eine besondere berufsethische Verantwortung, selbst- und fremdgefährdende Menschen zu schützen. Der Einwand der Abstinenzpflicht greift hier nur beschränkt, da diese, wie Dohm (2016) in einer vergangenen Ausgabe des Psychotherapeutenjournals schrieb, „auf den psychotherapeutischen Kontext im engeren Sinne, nicht auf uns als Bürgerinnen und Bürger“ (S. 263) bezogen ist. Intendiert ist mit diesem Artikel im Übrigen nicht ein Pathologisieren bestimmter politischer Ansichten oder ausschließlich der sog. Klimaleugner – die Diagnosestellung ist umfassender: Die Patienten – das sind wir alle.
Ich nehme mich hierbei ausdrücklich nicht aus, im Gegenteil: Ein Impuls für diesen Artikel war die erschreckende Erkennt-nis, wie stark ausgeprägt bei mir selbst viele der beschriebenen Arten der Vermeidung in Bezug auf den Klimawandel wirksam sind. Ich sehe mich also selbst als Teil des Problems, das ich verstehen und zu lösen helfen möchte.
Die Klimakrise lässt sich selbstverständlich nicht (nur) auf individueller Ebene erklären, geschweige denn: lösen. Wir müssen als Psychotherapeuten hier unsere gewohnte „default“-Einstellung, die das Wohl des Einzelnen, der vor uns sitzt, im Blick hat, auch einmal verlassen und eine „kosmische Perspektive“ einnehmen. Politische Entscheidungen und die Aufklärung der Gesamtbevölkerung sind nötig, um die not-wendigen lebenswichtigen Veränderungen einzuleiten. Die individualisierende Perspektive ist nicht ausreichend – Grunwald (2011) spricht hier sogar von einem „kollektiven Selbstbetrug“, wenn wir denken, große gesellschaftliche Wenden der Nachhaltigkeit allein durch Engagement im Privaten hinzu-bekommen. Die besorgte und im privaten Bereich engagierte Person vergleicht er mit einem „Hamster im Laufrad, emsig rennend – und trotzdem wäre sein realer Beitrag zur Lösung der Probleme gering.“ Nachhaltigkeit sei „eben nicht Privatsache, sondern Angelegenheit der polis“. Die Verantwortung des Einzelnen liege nicht nur in der Selbstoptimierung, sondern auch darin, „auf allen möglichen politischen Ebenen nachhaltiges Handeln und das Setzen nachhaltiger Regeln einzufordern oder zu befürworten“.
Unterschiedliche Antworten auf existenzielle Bedrohungen – Diagnostik
Das Bestreben zu überleben ist die treibende Kraft unserer Natur als Lebewesen, es stellt den Motor unserer Evolution dar (Dawkins, 2014). Dementsprechend ist der Tod, die Auslöschung unserer Existenz, unsere größte Bedrohung (Becker, 1973). Akute Lebensbedrohung löst deshalb extreme (Todes-)Angst aus. Unser Bedrohungssystem wird aktiviert und bereitet uns auf fight-flight-freeze-Reaktionen vor (Gray, 1988): wir können fliehen, kämpfen oder erstarren und uns totstellen. In Bedrohungsszenarien, in denen wir einem Fressfeind gegenüberstehen, können diese automatisierten Verhaltensweisen hoch funktional und überlebensnotwendig sein. In Bezug auf die Klimakatastrophe können sich unsere fight-flight-freeze-Reaktionen allerdings als hochgradig dysfunktional erweisen und sogar unser Leben gefährden – sie sind nicht für den langfristigen Kampf mit einem unsichtbaren Gegner gemacht.
Die im Artikel angesprochene Verleugnung tritt allerdings in unterschiedlichen Gestalten auf. Die Wurzel des Abstreitens und der Verharmlosung ist zwar bei uns allen die gleiche – die Angst vor der Vernichtung. Aufgrund unserer unterschiedlichen Persönlichkeiten und Temperamente reagieren wir aber mit individuellen Bewältigungsstilen, unterschiedlichen „existenziellen Antworten“ (Chmielewski, 2018) auf diese Bedrohung. Diese individuellen Bewältigungsstile sind aber entsprechend der schematherapeutischen Nomenklatur (Roediger, 2016; Young et al., 2003) gut drei Kategorien zuzuordnen: der Erduldung, Vermeidung und (Über-)Kompensation. Dabei sind „sanfte“, „friedliche“ Vermeidungsstrategien in Bezug auf den nötigen Kampf für den Klimaschutz im Ergebnis nicht als „besser“ zu bewerten als die „kämpferischen“, aggressiven, überkompensierenden. Am Ende stellen alle drei Strategien nicht-adaptives Verhalten dar: es werden keine ausreichenden Schritte gegenüber einer abzuwendenden Bedrohung gezeigt.
Würden wir rational auf die Bedrohung durch den Klimawandel reagieren, würden wir die wissenschaftlichen Erkenntnisse wie in anderen Bereichen ernst nehmen. Wir würden die Verhinderung der Vernichtung der Welt, wie wir sie kennen, als oberste Priorität festlegen und wichtige Maßnahmen zeitnah einleiten. Die Aktivierung unseres archaischen Bedrohungssystems lässt uns aber eben nicht rational reagieren: Wenn wir die mit den apokalyptischen Vorstellungen des Klimawandels einhergehende Angst „erdulden“, die Schrecklichkeit also in ihrer Gänze wahrnehmen, werden wir überschwemmt von Todesangst und Hilflosigkeit. Der „erduldende“ Umgang mit der Klimakrise ist nicht funktional: Die Folge dieser Haltung ist eher eine ohnmächtige Unterwerfung unter ein nur scheinbar aussichtsloses Schicksal. Diese Wahrnehmung von sich selbst als hilflosem Spielball motiviert nicht zu einer aktiven Verhaltensänderung. Sie korrespondiert hingegen mit der „Gelernten Hilflosigkeit“ (Seligman, Petermann & Rockstroh, 1999), der Wahrnehmung, dass es keine Optionen gibt, einer problematischen Lage zu entgehen. Es ließe sich hypothetisieren, dass durch die „Erduldungs“-Reaktion gegenüber der Klimakrise psychische Krankheiten verstärkt oder gar erst verursacht werden – insbesondere Angststörungen (z. B. Generalisierte Angststörung, Panikstörung) und Depression (Hayes et al., 2018)). Das „Erdulden“ kann mit einer zynischen, passiv-aggressiven Haltung verbunden sein und schnell übergehen in „blame-shifting“, bei dem Menschen die Verantwortung von sich selbst auf andere übertragen (Washington, 2013). Sie können dann sagen: „Der hat aber auch …“, „Die machen das viel schlimmer als wir …“. Insbesondere China wird in Bezug auf das Klima hier häufig als Sündenbock verwendet. Crompton und Kasser (2009) berichten, dass Menschen stärker zu diesem „blame-shifting“ neigen, wenn ihnen ihre Sterblichkeit bewusst gemacht wird.
Zur „Vermeidung“ der Angst vor unserer Vernichtung lassen sich verschiedene Mechanismen vorstellen: Wir können analog des schematherapeutischen Konzeptes des „Distanzierten Selbstberuhigers“ (Roediger, 2016) unsere Angst behavioral zu vermeiden versuchen; wir können auf der Verhaltensebene Nachrichten und Gesprächen zum Thema aus dem Weg gehen (Crompton & Kasser, 2009). Ebenso können wir versuchen, die bedrückende Realität mit kurzfristigem Hedonismus, Oberflächlichkeiten oder „dringenden Tätigkeiten“ zu betäuben.
Ein „distanzierter Beschützer“ (Roediger, 2016) ist in Bezug auf den Klimawandel wiederum dann aktiviert, wenn wir gedankliche Vermeidungsstrategien anwenden: Menschen können im Sinne der TMT (Greenberg et al., 2015) den Gedanken an die drohende Auslöschung „proximal“ vermeiden oder sich der Bedrohung gegenüber „existenziell indifferent“ halten (Schnell, 2016): „Vielleicht betrifft der Klimawandel dann irgendwelche Inselvölker, mich persönlich betrifft das nicht“. Durch einen intellektualisierenden Umgang mit der existenziellen Bedrohung wird die Problematik zwar einerseits abstrakt anerkannt, aber andererseits wird zugleich die direkte persönliche Betroffenheit verdrängt. Eine andere Art der Vermeidung stellt der Glaube an einen „letzten Retter“ (Yalom, 2005) dar: Ich kann mich damit trösten, dass schon jemand kommen wird, der das Problem lösen wird, z. B. aus der im Rahmen dieser Vermeidungsstrategie nun paradoxerweise doch hochgeschätzten Wissenschaft („Irgendein schlauer Wissenschaftler wird schon rechtzeitig einen Weg finden, das CO2 aus der Luft zu saugen“). In dieser Denkrichtung schlug ein wirtschaftsliberaler Politiker Schülern vor, die Klimakrise lieber „Profis“ zu überlassen (Der Spiegel, 2019) – ohne zu spezifizieren, wer damit eigentlich gemeint sei. Der Glaube an einen omnipotenten „letzten Retter“ entbindet von der Verantwortung, etwas ändern zu müssen. Die Irrationalität eines solchen Glaubens wird offenbar, wenn die tatsächlich vorhandenen „Profis“, namentlich Klimaforscher, ebenso deutlich vor der Irreversibilität des Klimaprozesses warnen (Der Spiegel, 2019) und keine positive Prognose über zeitnahe technologische Auswege hieraus abgeben können.
Da wir es bei der Auseinandersetzung mit dem menschengemachten Klimawandel mit einer (noch) änderbaren Situation zu tun haben, ist hier ein aktivistisches Vorgehen in Richtung dieses Ziels funktional. Wir können unser Überleben (und das unserer Urenkel) noch sichern durch zeitnahes kämpferisches Wirken im Sinne des Fight-Systems. Die Gruppe der demonstrierenden Jugendlichen wäre vor diesem Hintergrund als existenziell gesund zu bezeichnen. Schematherapeutisch gesprochen sind also aktuell die Menschen, die im „Gesunder Erwachsener“-Modus (Roediger, 2016) sind, eben nicht die Erwachsenen – sondern die Jugendlichen.
Paradoxerweise kann die Konfrontation mit der drohen-den Auslöschung unserer Welt auch – im Sinne einer Überkompensation – zu einer entgegengesetzten kämpferischen Haltung führen: zum „Kreuzrittertum“ (Yalom, 2005) gegen den Klimaschutz, zur aktiven und aggressiven Leugnung der existenziellen Bedrohung. Eine Erklärung für diese merkwürdige existenzielle Reaktionsbildung wird ausführlich von Becker (1973) beschrieben und von der TMT empirisch nachgewiesen (Greenberg et al., 2015): Angesichts der Unausweichlichkeit des Todes, können wir Menschen Todes-angst auch dadurch regulieren, dass wir „symbolische Unsterblichkeit“ zu sichern versuchen. Die TMT-Autoren nennen zwei Strategien, die zu dieser „distalen Vermeidung“ verwendet werden: Wir können distal vermeiden, indem wir a) unsere Identifikation mit einer von uns als wertvoll erachteten Gruppe (und deren Weltsicht) stärken, b) versuchen, unseren individuellen Selbstwert zu steigern. In beiden Fällen erlangen entweder a) meine Gruppe und ihre Werte oder b) ich persönlich „symbolische Unsterblichkeit“: Die Idee „Auch wenn ich tot bin, wird / werden meine Gruppe / meine Werte / das Andenken an mich weiterleben“ gibt mir Sicherheit.
Es scheint absurd, das „symbolische Überleben“ über das tatsächliche Überleben zu stellen. Vor dem Hintergrund der TMT-Theorie wird so ein Mechanismus allerdings psychologisch nachvollziehbar: Die symbolische Überlebenssicherung ermöglicht eine schnelle (Todes-)Angstreduktion. Unzählige Experimente der TMT bestätigen diesen Mechanismus (Greenberg et al., 2015). Die Experimente laufen üblicherweise so ab, dass den Probanden situativ ihre Sterblichkeit bewusst gemacht wird. Nach einer ablenkenden Aufgabe erfolgen dann die unterschiedlichen Versuchsvariationen. Die Ablenkungsaufgabe soll dafür sorgen, dass die Todesangst im weiteren Verlauf des Experimentes unbewusst wirken soll und die unbewussten, distalen Vermeidungsstrategien aktiviert werden. Die TMT-Experimente zeigen immer wieder, dass Menschen im Angesicht des Todes ihre Todesangst auch dadurch zu regulieren versuchen, indem sie – paradoxerweise – potentiell gefährliche, überlebensgefährdende Dinge tun. Die Ergebnisse deuten darauf hin, dass Menschen tatsächlich in manchen Situation stärker darauf bedacht sind, ihre „symbolische Unsterblichkeit“ oder ihr „symbolisches Selbst“ zu steigern, als auf ihr tatsächliches Überleben Acht zu geben: Die experimentelle Bewusstmachung der Sterblichkeit kann so dazu führen, dass Raucher tiefer inhalieren und Menschen risikoreicher Auto fahren – und zwar immer dann, wenn diese Dinge zentral für die Identität der Person sind und selbstwertrelevant. Es konnte experimentell nachgewiesen werden, dass Todesbewusstheit unter bestimmten Umständen Menschen gieriger macht und rücksichtsloser mit natürlichen Ressourcen (in einem Forstwirtschaftsspiel) umgehen lässt (Kasser & Sheldon, 2000).
Je nachdem, welche Werte verteidigt werden, um sich gegen Todesangst zu schützen, kann sich das – in Bezug auf den Klimawandel – ganz unterschiedlich auswirken: Verteidigen Menschen sich gegen Todesangst, indem sie Werte von Umweltbewusstsein und Generativität hochhalten, mag das einen positiven Effekt haben – verteidigen Menschen aber Werte wie Wachstums- und Profitorientierung, um sich gegen Todesangst abzuschirmen, kann klimaschädliches Verhalten resultieren (s. a. Barth et al., 2018). Landau und Mitarbeiter (2009) weisen nach, dass Todesbewusstheit das Selbstkonzept deutlicher macht: Uns wird klarer, welche Werte wir besitzen – im Angesicht der Apokalypse erfahren wir, wer wir wirklich sind. Dass die Herausforderung durch die globale ökologische Problemlage einen politisch autoritären und gesellschaftlich ausgrenzenden Zug mit sich bringen kann, darauf deuten Fritsche und Kollegen (2012) hin: Sie können nachweisen, dass die Bewusstmachung der Bedrohung durch die Klimakrise Menschen einen autoritären Führerstil bevorzugen und Outgroup-Mitglieder abwerten lässt.
Vom Verständnis zur Veränderung – von der Diagnostik zur Therapie
Welche „therapeutischen Schritte“ lassen sich ableiten? Die Klimaaktivistin Greta Thunberg sagt „I want you to panic“ (Thunberg, 2019). Angesichts des wachsenden Ausmaßes der Bedrohung mag Panik die passende emotionale Reaktion darstellen. Leider bringt diese Panik viele Menschen jedoch nicht zwangsläufig in einen konstruktiven Problemlöseprozess. Angst ist nicht das Breitbandantibiotikum gegen die Verleugnung der Klimakrise (s. a. O‘Neill & Nicholson-Cole, 2009): Mehrere spezifisch auf die unterschiedlichen Vermeidungsstile abgestimmte Maßnahmen sind wichtig, um Menschen in unterschiedlichen Coping-Stilen dort abzuholen, wo sie stehen.
Wie könnten die Menschen im „Erduldungs-Modus“ abgeholt werden?
Menschen, die von Angst überschwemmt werden, müssten gestufte, möglichst konkret formulierte, erreichbare Teilziele aufgezeigt werden. Das Erreichen dieser Teilziele würde zunehmend Vertrauen schaffen, selbst etwas bewirken zu können („Wie Sie sich heute gegen den Klimawandel engagieren – in 10 einfachen Schritten“) – statt Ohnmacht müssen also Selbstwirksamkeitsüberzeugungen gestärkt werden. Feinberg und Willer (2010) weisen nach, dass „dire messages“ umweltförderliches Verhalten reduzieren können: apokalyptisch formulierte Statements zum Ernst der Lage können also die Handlungsbereitschaft verringern. Witte und Allan (2010) können allerdings zeigen, dass dieser Effekt umgekehrt werden kann, indem man Menschen neben den düsteren Nachrichten zugleich Handlungs- und Wirksamkeitspotentiale vermittelt. Aktiv zu werden und dadurch Kontrolle zurückzugewinnen, erweist sich als hoch effektiv gegen depressive Symptomatik (Jacobson, Martell & Dimidjian, 2001). Bei Menschen mit einer resignierten bis passiv-aggressiven Haltung („Politiker aller Parteien sind immer korrupt.“) müsste man diese Verallgemeinerungen problematisieren und durch geeignete Gegenbeispiele aufweichen, um sie wieder zum Handeln zu bewegen.
Wie könnten die Menschen im „Vermeidungs-Modus“ abgeholt werden?
In der Schematherapie begegnet man Vermeidungsmodi therapeutisch, indem man Menschen in eine Meta-Perspektive zu ihren eigenen Strategien zu bringen versucht (Roediger, 2016). Auf der einen Seite lernen Patienten so, Verständnis für die angstreduzierende Funktion ihrer Vermeidungsstrategien aufzubringen. Dies ist die Grundlage dafür, auf der an-deren Seite die hohen Kosten ihrer emotionsregulierenden Vermeidungsstrategien einzusehen und die Motivation aufzubauen, diese zu reduzieren. So könnten folglich Maßnahmen für Menschen im Vermeidungs-Modus mit dem Klimawandel aussehen: Man könnte sich hier Kampagnen vorstellen, die die Zuschauer mit empathischem Verständnis bei ihren Vermeidungsstrategien abholen – „Kennen Sie das auch? Wenn Sie von einem harten Arbeitstag nach Hause kommen, wollen Sie sich nicht noch mit dem Klima beschäftigen. So etwas stresst doch nur. Wir kennen das …“. Erst danach werden die langfristigen Kosten dieses Vermeidungsverhaltens aufgezeigt.
Letztlich müssen wir bei Menschen im Vermeidungs-Modus ein Schuldempfinden (im Sinne existenzieller Verantwortung) aufbauen – auch dafür, nichts über den Klimawandel und seine Verursachung zu wissen (Washington, 2015). Schuldgefühle können funktional sein, wenn wir gegenüber einem selbst als stimmig erlebten Ideal untreu werden (Higgins, 1987) und wir zudem unser Verhalten negativ beurteilen und nicht uns selbst (Tangney, 1991). Diese Schuld kann zu einer Veränderungsmotivation führen. Scham hingegen verleitet eher dazu, dass wir uns mit uns selbst beschäftigen, weniger empathisch für andere werden (Tangney, 1991) und eher Rückzugs- und Vermeidungsmotivation zeigen (Lammers & Ohls, 2017). Es hilft also mehr, die Verantwortung zu betonen und Verhalten zu kritisieren, als Menschen dazu zu bringen, sich für ihre Versäumnisse zu verurteilen und sich dafür zu schämen, was sie angerichtet haben. Harrison und Mallett (2013) erklären die Beziehung zwischen „eco-guilt“, Todesbewusstheit, umweltbezogenen Werten und Verhalten von Personen. Sie beschreiben, dass Todesbewusstheit Menschen in Einklang mit sozialen Werten handeln lässt und sie sich schuldig fühlen lässt, wenn sie sich als diskrepant zu diesen erleben.
Bei den vermeidenden Menschen müsste man zugleich durch emotionsaktivierende Kampagnen die Vermeidung erschweren. Hier könnte ein „Mehr Panik“ also tatsächlich sinnvoll sein und aufrütteln. Um einen ausschließlich intellektualisierenden Umgang zu verhindern, ist es wichtig, persönliche Einzelschicksale und an Emotionen appellierende Methoden zu wählen. Um die „proximale Vermeidung“ (Greenberg et al., 2015) zu unterminieren, die die eigene Betroffenheit verdrängt, müssen Maßnahmen gewählt werden, die Menschen verstehen lassen: Auch ich bin gemeint. Vorstellen ließe sich hier z. B. ein Video, dass anfangs die herkömmliche Wahrnehmung abbildet: Scheinbar wird der Bewohner eines weit entfernten Landes von einer klimabedingten Katastrophe heimgesucht, im weiteren Verlauf des Videos wird aber deutlich gezeigt: Die Szene spielt doch im Land des Zuschauers.
Wichtig ist es auch, bei Vermeidungsstrategien nicht generalisierend auf die Persönlichkeit zu attribuieren. Viele Kämpfer gegen den Klimawandel werten ihre Gegner ab, indem sie ihnen pauschal finanzielle, eigensüchtige Motive unterstellen. Es ist wichtig bei Aktivisten für den Klimaschutz ein Bewusstsein dafür zu schaffen, dass es auch viele „Vermeider“ und „Skeptiker“ gibt, die sich aus Angst so unlogisch verhalten und nicht aus bösem Willen. Werden Vorsatz und Unmoral unterstellt, kränkt dies wiederum das Selbstwertleben der betroffenen Person und dies wird eher nicht zu einer Änderung führen, sondern eher zu defensiven Reaktionen.
Bei all diesen Strategien gilt zu beachten: Wenn wir Vermeidungsmechanismen unterminieren, müssen wir zugleich konkrete Handlungsanweisungen formulieren und Selbstwirksamkeit vermittelnde Aussagen machen. Es besteht ansonsten die Gefahr, dass Menschen, die die Strategie des Vermeidens aufgeben, von Angst überflutet werden und vom Vermeiden zum Erdulden wechseln. Nur indem große Furcht plus hohe Wirksamkeitserwartungen gleichermaßen vermittelt werden, werden Menschen handlungsfähig (s. a. Witte & Allan, 2010).
Wie können die Menschen im „Kämpfer-Modus“ abgeholt werden?
Leider wird es sich schwierig gestalten, Menschen, die offensiv gegen eine von ihnen so empfundene „Klimahysterie“ ankämpfen, zurückzugewinnen. In keinem Fall sollte dies durch ein Mehr an (Todes-)Angst zu erreichen versucht werden – den aktuellen Erkenntnissen nach müsste dies bewirken, dass diese Menschen noch in tiefer in ihren Überkompensationsmodus rutschen. Auch eine Abwertung ihrer jeweiligen symbolischen Unsterblichkeitsideologien (Becker, 1973), die Werte wie „Wirtschaftswachstum“ oder „internationale Wettbewerbsfähigkeit“ beinhalten können, wird eher zu einer stärkeren negativen Reaktion führen.
Ein aus der Sicht der existenziell-psychotherapeutischen Perspektive besonders wichtiges psychologisches Grundbedürfnis, das in diesem Zusammenhang zentral ist, ist die Selbstbestimmung(Deci & Ryan, 1993). Versucht man Menschen ihre für sie stimmigen und identitätsstiftenden Werte auszureden, wird dieses Bedürfnis frustriert – und sie reagieren defensiv. Auf diese Weise ist die Perspektive eines Politikers auf die von den Klimaschützern geforderten Schritte als „Öko-Dirigismus“ zu verstehen. Er wertet diese als Einschränkungen persönlicher Freiheit: Umweltschützer wollen „den Petrolheads das Auto nehmen und den Fleischliebhabern das Steak“ (Die Welt, 2019). Ebenso mag die neu vom US-Energieministerium eingeführte Bezeichnung von CO2 als „molecules of freedom“ aus reiner Reaktanz erfolgt sein.
Die Chance im Umgang mit Menschen im kämpferischen Modus bestünde darin, an deren übergeordnete Werte zu appellieren, z. B. die Fürsorge für zukünftige Generationen. Die Person müsste also verstehen: Aktuell opfere ich für meine Selbstbestimmung im Kleinen („so viel Auto fahren, wie ich will“) meine Selbstbestimmung im Großen und meine bedeutsamsten Werte („für meine Nachkommen sorgen“). Um dem Bedürfnis nach Selbstbestimmung entgegenzukommen, können und sollten Kampagnen also nicht versuchen, Menschen zu neuen Werten zu überreden, sondern bereits vorhandene, übergeordnete Werte von Personen ansprechen und aktivieren.
Annäherungsziele statt Vermeidungs-ziele – Alternativen zur Angst
Die beschriebenen Strategien „Erdulden“, „Vermeiden“ und „(Über-)Kompensation“ sind Angstreaktionen. Wir haben es innerhalb dieser Vemeidungsmodi folglich mit der motivatio-nalen Orientierung der Vermeidungsmotivation zu tun – alle Strategien versuchen Angst und Bedrohung gering zu halten. Langfristig funktionaler ist es, bei Menschen eine Annäherungsmotivation für den Klimaschutz aufzubauen: Wofür lohnt sich (positiv) die Auseinandersetzung mit der Angst? Wofür lohnen sich die nötigen Einschränkungen im Alltag? Kampagnen sollten deshalb auch Annäherungsziele bieten.
Es soll an dieser Stelle auf drei aus einer existenziell-psychotherapeutischen Perspektive besonders wichtige Annäherungsziele eingegangen werden:
– Sinnerfüllung
– Zugehörigkeit
– Selbstwert
Ein erstes Annäherungsziel kann die in Aussicht gestellte Sinnerfüllung sein. Wohlbefinden und die psychische und physische Gesundheit von Menschen werden durch Sinnerfüllung gesteigert (Kleiman & Beaver, 2013). Die Bekämpfung des Klimawandels eignet sich besonders gut als sinnerfüllendes Ziel, weil es Selbsttranszendenz beinhaltet: Ein außerhalb der eigenen Person stehendes Ziel wird verfolgt. Diese Selbsttranszendenz erweist sich in Studien besonders in Verbindung mit den Zielen von „Fürsorge“ und „Generativität“ als sinnstiftender Faktor (Schnell, 2016). Das „Retten der Welt“ kann deswegen auch als sinnstiftendes Projekt beworben werden.
Ein zweites Annäherungsziel kann die in Aussicht gestellte Zugehörigkeit sein. Der existenzielle Psychotherapeut Yalom betont die Wichtigkeit der Erkenntnis der „Universalität des Leidens“ und weist diese Erkenntnis auch als wichtigen Wirkfaktor von Gruppentherapien nach (1985). Zugehörigkeit hilft uns, unsere existenzielle Isolation besser zu ertragen (Yalom, 2005): Wir sitzen alle in einem Boot. Die leidvolle Tatsache, dass es die Titanic ist, kann Menschen ihr tiefes Bedürfnis nach Zugehörigkeit (Deci & Ryan, 1993) auf globalem Niveau erfüllen. Auch Fromm (1992) schildert eine Vision des globalen Zugehörigkeitsgefühls. Er schlägt vor, statt vergeblich zu versuchen, den menschlichen Wunsch, einer wertvollen Gruppe anzugehören, zu beseitigen (er nennt das „Gruppennarzissmus“), die partikulare „In-Group“ nach und nach zu vergrößern: von der Gruppe wertvoller Kleinstadtbewohner hin zu einer Gruppe der Erdenbürger.
Pyszczynski und Kollegen (2012) können tatsächlich empirisch nachweisen, dass die Bewusstmachung des Klimawandels die Wahrnehmung von Unterschieden zwischen Gruppen und Völkern reduzieren und die Kooperationsbereitschaft erhöhen und die Konfliktbereitschaft senken kann. Der Klimawandel ist hier ein geeignetes „übergeordnetes Ziel“ (Sherif, 1966). In Verbindung mit einem Narrativ des Zusammenschlusses aller Völker gegen einen gemeinsamen Feind – populär in Hollywood-Blockbustern wie „Independence Day“ und „Pacific Rim“, in denen Menschen sich aufgrund von Alien-Invasionen weltweit zusammenschließen müssen – könnte die Abwendung einer ökologischen Katstrophe zu einem internationalen Projekt werden, das das Bedürfnis nach Zugehörigkeit befriedigen kann.
Ein drittes Annäherungsziel kann die in Aussicht gestellte Erhöhung des Selbstwertes sein.
Theorie und Erkenntnisse der TMT zeigen uns, dass Menschen das zentrale Motiv haben, ihren Selbstwert zu erhalten oder zu erhöhen – und dies besonders, wenn sie mit ihrer Sterblichkeit konfrontiert werden (Greenberg et al., 2015; Pyszczynski et al., 2004). Diese Erkenntnisse könnten für Klimaschutzkampagnen genutzt werden.
Wenn Menschen mit den katastrophalen Tatsachen konfrontiert werden, sollten ihnen zugleich funktionale Möglichkeiten der Selbstwerterhöhung geboten werden. Wenn zeitgleich mit den düsteren Wahrheiten die Option eröffnet wird, ein „Held“ zu sein (Wolfe & Tubi, 2019), so steht direkt ein konstruktiver Strohhalm zur Angst-Pufferung bereit, an den sich Menschen klammern können. Dies funktioniert allerdings experimentell nachgewiesen nur bei Menschen, denen umweltbewusstes Handeln bereits als positives selbstwertbezogenes Verhalten gilt (Vess & Arndt, 2008). Vor dem Hintergrund des großen Ziels wäre ein Reframing vieler kleiner oder großer Aktivitäten als „Heldentaten“ denkbar: von der Teilnahme an einer Demo bis zur „Verewigung“ als Spender. Nimmt man Beckers (1973) These ernst, dass das Streben nach Selbstwert das Streben nach „symbolischer Unsterblichkeit“ darstellt, sollte es also auch im Zusammenhang mit der ökologischen Krise konkrete Möglichkeiten geben, als „kosmischer Held“ ein heroisches Bedürfnis nach Selbstwert in andere Bahnen umzulenken.
Wir sitzen alle in einem Boot. Die leidvolle Tatsache, dass es die Titanic ist, kann Menschen ihr tiefes Bedürfnis nach Zugehörigkeit auf globalem Niveau erfüllen.
Abschluss
Die Konsequenzen des menschengemachten Klimawandels stellen ein Problem dar, das uns alle angeht. Die Symptome dieser „existenziellen Neurose“ (Maddi, 1967) zeigen sich je nach individueller Beschaffenheit unterschiedlich. Die Existenzielle Psychotherapie und die mit ihr assoziierte Forschung kann helfen, die Gründe für diese Verleugnungsstrategien zu verstehen, die verschiedenen Antworten auf die Bedrohung zu klassifizieren und Ideen für passgenaue Gegenstrategien zu liefern.
Von der Psychoanalyse haben wir gelernt, dass auf dem Weg zur Einsicht die Verdrängungen zurückgefahren werden müssen, von der kognitiven Therapie, dass der rationale Blick auf die Realität gesund macht. Die Verhaltenstherapie rät uns: jeder muss seine Hausaufgaben machen und die wertvollen Einsichten in konkretes Verhalten übersetzen.
Was können wir also konkret tun?
Hier einige, sicherlich nicht erschöpfende Vorschläge:
1. Die Bundepsychotherapeutenkammer sollte ein Statement veröffentlichen, aus dem klar wird, dass sich die weit überwiegende Mehrheit der Psychotherapeuten dem wissenschaftlichen Konsens in Bezug auf den menschengemachten Klimawandel anschließt und damit auch den Vorschlägen der Klimaforscher. Somit sollten die Kammern auch die Kampagne der „Psychologists/Psychotherapists for Future“ unterstützen.
2. Wir sollten als Psychotherapeuten mit anderen Berufsgruppen, die sich aktuell für den Klimaschutz engagieren, zusammenarbeiten: Insbesondere können wir hier mit den aktiven Mitgliedern der „Scientists for future“ kooperieren. Klimaforscher sind die inhaltlichen Experten bezüglich des Klimawandels. Ihnen fehlen aber häufig die Werkzeuge, um der Bevölkerung und Entscheidungsträgern ihre lebenswichtigen Erkenntnisse so zu vermitteln, dass diese sie angemessen aufnehmen. Unsere spezifische Expertise als Beziehungs- und Kommunikationsexperten könnte hier hilfreich sein.
3. Wir sollten Öffentlichkeitsarbeit leisten (z. B. in Form von Broschüren), innerhalb derer wir u. a. in laiengerechter Sprache die bekannten psychologischen Verdrängungsmechanismen in Bezug auf den Klimawandel erklären und Hinweise zu deren Modifiktion bei uns selbst und anderen geben.
4. Wir sollten uns für die Thematik sensibilisieren und Patienten, bei denen Deutungen der Klimakrise eine verursachende oder aufrechterhaltende (Teil-)Rolle bei ihrer psychischen Problematik spielen könnte, hier ernst nehmen. Ein thematisch „aufsuchendes“ Verhalten im Sinne einer Missionierung von Patienten ist natürlich im Sinne des Abstinenzgebots zu unterlassen. Den Patienten nicht politisch zu manipulieren, heißt aber nicht, dass wir keine eigene Haltung zu diesem Thema haben dürfen oder sollten. Fiedler (2018) stellte erst vor kurzem fest, dass eine wertfreie „Neutralität“ des Therapeuten eine Illusion sei, es sei eher problematisch für die Therapiebeziehung, „je mehr der Therapeut seine Parteilichkeit negiert, dem Patienten die eigenen Positionen verschleiert und behauptet, neutral zu sein“ – die Weltanschauung des Therapeuten beeinflusse so oder so die „Art und Weise der Bewusstseinsbildung des Patienten“ (S. 123). Um authentisch in Gesprächen über dieses Thema zu sein, müssen wir via Selbsterfahrung unsere eigene Meinung, unsere eigenen Wertprioritäten, aber auch unsere eigenen Verleugnungsstrategien kennen.
5. Geringe Selbstfürsorge beim Kampf für den Klimaschutz kann die Entwicklung psychischer Probleme (mit-)bedingen. Gesucht sind auch Psychologen/Psychotherapeuten, die Aktivisten bezüglich ihres Gesundheitsverhaltens beraten können (Psychologists/Psychotherapists for Future, persönliche Mitteilung, 2019) – auch dies könnten wir persönlich und/oder in Form von Broschüren tun.
6. Der erste und einfachste Schritt: Setzen Sie sich mit den Anliegen und Zielen der aus dem Kreis Ihrer Kollegen gestarteten Petition der „Psychologists/Psychotherapists for Future“ auseinander und unterstützen Sie diese: https://psychologistsforfuture.org/de/
Autor
Dipl.-Psych. Fabian Chmielewski, Psychologischer Psychotherapeut
Fußnoten
1 Zu der mit der Ausgabe 4/2017 eingeführten geschlechtersensiblen Schreibweise im Psychotherapeutenjournal lesen Sie bitte den Hinweis auf der vorderen Umschlagseite. Bei dieser Ausgabe handelt es sich um ein Heft in der männlichen Sprachform.
Hinweis aus dem Psychotherapeutenjournal der vorderen Umschlagseite: „Geschlechtersensible Sprache: Das Psychotherapeutenjournal wechselt im Sinne eines geschlechtersensiblen Sprachgebrauchs in seinen Ausgaben zwischen einem in weiblicher Form und einem in männlicher Form verfassten Heft ab. Dies betrifft Textpassagen, in denen nicht eindeutig ein Mann/Männer bzw. eine Frau/Frauen gemeint sind. Durch das Abwechseln weiblicher und männlicher Sprachform sollen Frauen ebenso wie Männer sprachlich sichtbar gemacht werden. Transgeschlechtlichkeit kann aktuell in der Sprache des PTJ noch nicht abgebildet werden, transgeschlechtliche Menschen sind jedoch ausdrücklich mitgemeint und angesprochen. Zur ausführlichen Begründung dieses Beschlusses lesen Sie bitte das Editorial in Ausgabe 4/2017.“
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