Klima-Krise, Finanzkrise, Corona-Krise – wie kann das psychologische Konzept der Resilienz helfen, um Krisen zu bewältigen?
Krisen sind, in unterschiedlicher Form, ein immer wiederkehrender Zustand auf individueller, aber auch gesellschaftlicher Ebene. Der Umgang und das Erleben der Krisen ist von der Art der Krise abhängig. Aktuell fallen in der Corona-Krise vor allem zwei Reaktionsweisen auf: Zum einen tun Menschen scheinbar unvernünftige Dinge, wie zum Beispiel das Hamstern von Toilettenpapier oder die Stigmatisierung von maskentragenden Personen. Zum anderen kommt es zu Akten vorher nicht gekannter Solidarität: der Einkauf für die ältere Nachbarin, mit der man bislang kaum ein Wort gewechselt hatte, oder die Vermieterin, die dem Friseurgeschäft im Erdgeschoss die Monatsmiete erlässt. Und binnen weniger Tage sind in vielen Kommunen Unterstützungsnetzwerke entstanden. Auch die Klimakrise offenbart unterschiedliche Bewältigungsstrategien, die von Vermeidung hin zu Aktionismus führen können.
Aus psychologischer Sicht lassen sich diese Bewältigungsstrategien unterschiedlich klassifizieren. Eine der Strategien, die in den vergangenen Jahren eine breite Popularität in der Ratgeberliteratur gefunden hat, ist das Konzept der Resilienz. Das Besondere an diesem Begriff ist die Verknüpfung einer Risikosituation mit einer eintretenden Krise und der erfolgreichen Bewältigung dieser. Dieses sogenannte Overperforming unterscheidet Resilienz von anderen Bewältigungsstrategien. Eindrücklich belegt wird dies z.B. durch die Längsschnittstudie der 1929 in Deutschland geborenen US-amerikanischen Entwicklungspsychologin Emmy E. Werner mit 698 Kindern, die alle 1955 auf der hawaiischen Insel Kauai geboren waren und die von Geburt bis ins fortgeschrittene Erwachsenalter von 40 Jahren auf die Auswirkungen von biologischen und psychosozialen Risikofaktoren untersucht wurden (Werner & Smith, 1992). Es fanden sich 30 % der Proband*innen, die sich trotz schwierigster Lebensumstände wie Geburtskomplikationen, Armut, chronischem häuslichem Unfrieden und psychisch kranken Eltern mit niedrigem Bildungsniveau zu kompetenten, selbstbewussten und fürsorglichen Erwachsenen entwickelten. Sie zeigten im Jugendalter keine Verhaltensprobleme, absolvierten erfolgreich die Schule, schafften eine gute berufliche Entwicklung und führten stabile Partnerschaften. Ihre Lebensleistungen waren vergleichbar mit oder sogar überlegen zu denen von Menschen, die in ökonomisch und sozial stabileren häuslichen Umfeldern aufgewachsen waren.
Wie entsteht individuelle Resilienz?
Werner identifizierte eine Reihe von Schutzfaktoren, die für die Entstehung von Resilienz verantwortlich waren:
Von Beginn an zeigten die resilienten Kinder eine Persönlichkeitsstruktur, die es Betreuungspersonen leicht gemacht hat, positiv auf die Kinder zu reagieren. Die Kinder zeigten sich offen, freundlich, gesellig und liebevoll, waren hilfsbereit und konnten sich auch selbst besser helfen, ihr Glaube an die eigene Wirksamkeit hatte sich so bis zum Jugendalter gut entwickelt. Und sie hatten schon früh eine enge Bindung zu mindestens einer emotional stabilen Person entweder innerhalb der Familie (ältere Geschwister, Tanten, Onkel, Großeltern etc.) oder im weiteren Umfeld (Lehrer, Nachbarn Jugendleiter etc.). Eine wichtiger weiterer Schutzfaktor war eine Religiosität in der Familie und der Anschluss an kirchliche Gruppen (Werner, 2006).
Der Grund dafür, warum manche Kinder Schutzfaktoren ausbilden und andere nicht, lässt sich allerdings nicht auf eine einzelne Eigenschaft zurückführen; gleiches gilt für die Frage, welche Art von Schutzfaktor bei welchem Risiko am hilfreichsten ist (Zolkoski & Bullock, 2012). Ob und wie Kinder trotz widriger Umstände eine normale Entwicklung durchlaufen, scheint vielmehr ein Zusammenspiel von vielen Faktoren zu sein (Rönnau-Böse & Fröhlich-Gildhoff, 2015). Einige Autoren gehen davon aus, dass es einen Anteil an Resilienz gibt, der genetisch bestimmt ist, und einen Anteil, der im Laufe des Lebens erworben wird (Niitsu et al., 2017).
Die Leistung, eine Erschütterung des Ist-Zustandes durch die Stärkung notwendiger Verhaltensweisen und Eigenschaften zu überstehen, ist jedoch nicht nur ein Thema für die individuelle Ebene, sondern spielt auch für das kollektive Handeln eine Rolle. Resilienz, als die Fähigkeit Krisen trotz bestehender Risikofaktoren zu bewältigen, ist ein Konzept, welches das komplexe Zusammenspiel der Krisenüberwindung beschreibt. Es macht somit verständlich, dass nicht eine Null-Fehler-Vermeidung, sondern eine Fokussierung auf die spezifischen Fähigkeiten des Überlebens wesentlich ist. Resilienz unterscheidet sich damit zu den traditionellen Ansätzen des Risikomanagements, in denen es darum geht, alle möglichen Störungen von vorne herein auszuschließen. Die Idee hinter dem Phänomen der Resilienz ist vielmehr, dass durch ein Zusammenspiel von Faktoren, wie etwa Netzwerkstrukturen, Lernfähigkeit oder Entscheidungsstärke eine Krise überwunden werden kann, ohne dass Störungen vermieden oder ausgeschlossen werden – was in der Realität zumeist auch gar nicht möglich ist.
Während die Klimakrise den Status quo in Zentraleuropa bis heute nicht nachdrücklich genug erschüttert hat, um angemessenes politisches, wirtschaftliches, gesellschaftliches und individuelles Handeln in einem erforderlichen Ausmaß auszulösen, zeigt uns die Coronakrise, dass Resilienz auch auf kollektiver Ebene möglich ist: Es lässt sich im Angesicht einer akuten Bedrohung, die unmittelbar spürbar und sehr konkret erlebbar ist, viel erreichen, vor allem gemeinsam. Ob in internationaler Solidarität, wenn Staaten sich Hilfslieferungen schicken oder Schwerkranke aus anderen Ländern behandeln, oder in kollektiver Solidarität vor Ort.
Wesentlich auf der kollektiven Ebene ist dabei, zwischen der Resilienz mit dem Zweck der Adaptivität als Anpassung an die neuen, bereits eingetretenen Bedingungen der Klimakrise und dem Zweck der Transformation in ein neues Systems zur Eindämmung der laufenden Veränderungen zu differenzieren (Wilson et al., 2020). Politisch ist eine Transformation zwingend notwendig – weder die individuelle noch die kollektive Resilienz sind Ausreden um notwendige politische Schritte zur Prävention von Lebensbedingungen zu vermeiden, die eine Anpassung eines Großteils der Menschen unmöglich macht. Es geht eben nicht darum, dass sich das Individuum oder die Gesellschaft einfach an die Klimakrise mit Hilfe von Resilienz anpassen. Vielmehr hilft das Konzept, ein Augenmerk auf mögliche Bewältigungsstrategien zu lenken – eine gesellschaftliche Transformation im Sinne einer erfolgreichen Bewältigung der Klimakrise ist trotzdem notwendig!
Wie entsteht kollektive Resilienz?
Unter kollektiver Resilienz wird in der Forschung die Fähigkeit des Sozialsystems verstanden, „Schocks und Stressfaktoren zu absorbieren und gleichzeitig seine wesentlichen Strukturen und Funktionen beizubehalten“ (Wilson, Herziger, Hamilton & Brooks, 2020, S. 1). Das kann im unmittelbaren Lebensumfeld geschehen, wenn beispielsweise eine Hausgemeinschaft Einkäufe für schwächere Nachbarn organisiert. Es kann auf lokaler Ebene geschehen, wenn im Viertel oder der Gemeinde binnen weniger Tage neue Sozialstrukturen aufgebaut werden. Und es geschieht auf der Ebene ganzer Bevölkerungen, wenn bspw. politische Entscheidungsträger Maßnahmen festlegen, durch die von einem auf den anderen Tag gewohnte Abläufe ausgehebelt und in der Folge neue Gewohnheiten entwickelt werden. In der Forschung werden unterschiedliche Ebenen kollektiver Resilienz unterschieden. Dazu gehört die Team-Resilienz, die vor allem auf organisationale Gruppen bezogen ist. Das Ziel resilienter Gruppen ist es, die Leistungsfähigkeit zu steigern (Alliger et al., 2015). Die Community-Resilienz bezieht sich wiederum auf ganze Gemeinden und Infrastrukturen. Patel et al. (2017) zeigen in ihrer Übersicht neun Kernelemente auf, aus denen die sogenannte Community-Resilienz besteht: lokales Wissen, Gemeinde-Netzwerke und -Beziehungen, Kommunikation, Gesundheit, Regierungsführung und Führung, Ressourcen, wirtschaftliche Investitionen, Engagement und mentale Stärke. Elemente der eigenen Kultur können ebenso Resilienzfaktoren sein, so spielen die Narrative (= Sinn und Identität stiftenden Erzählungen) indigener Gemeinschaften bei ihrer Resilienzentwicklung eine wichtige Rolle (Kirmayer et al., 2011). Als Beispiel dafür beschreibt er u.a. das Narrativ der Inuit, „Niriunniq“, übersetzbar mit „Hoffnung“. Das Narrativ beinhaltet eine tiefe Verbundenheit in den Gemeinschaften, Bindungen an Grund und Boden, den guten Willen der Tiere und der spirituellen Kräfte der ansonsten unwirtlichen Arktischen Küstenregion. Dies mündete in Eigenschaften wie Beständigkeit, Ausdauer, Ressourcenfülle und hohe Anpassungsfähigkeit. Aus diesem Bewusstsein heraus sind die Inuit heute juristisch und politisch aktiv in der Klimaschutzbewegung.
Die Community-Resilienz wird als wesentlicher Aspekt für die Entwicklung einer nachhaltigen Gesellschaft interpretiert, da durch die Stärkung bestimmter Ressourcen die Überlebensfähigkeit der Gruppen erhöht werden kann (Magis, 2010). Für die Klimakrise wurde der Einfluss der Community-Resilienz ebenfalls bereits untersucht (Twigger-Ross et al., 2015). Die Idee ist hierbei, dass jene Faktoren, die eine Resilienz ermöglichen, gleichzeitig auch dafür sorgen, dass Gruppengefüge widerständig und bestehen bleiben können. Das ist nachhaltig und hat somit eine effiziente Auswirkung zur Schonung von Ressourcen. Die Herausforderungen, vor denen Gemeinschaften stehen sind dabei höchst unterschiedlich – ebenso wie der Umgang und die Bewältigung dieser (Wilson, 2014). Deshalb lässt sich auch auf kollektiver Ebene kein pauschales Konzept entwickeln, welches für jede Gemeinschaft eine Checkliste mit gewichteten Faktoren enthält, die unweigerlich zu Resilienz führen. Erst die Analyse der eigenen Fähigkeiten, die zum Überleben geführt haben, geben Aufschluss über resiliente Eigenschaften und Prozesse innerhalb einer Gruppe.
Was können wir tun um Resilienz zu entwickeln? – Beispiele aus der Corona-Krise
Was brauchen wir nun, um Krisenkompetenz zu entwickeln? Wie bereits dargestellt, existiert kein Rezept für die Entstehung von Resilienz, wenngleich in der Forschung einige Faktoren extrahiert werden konnten, die einen Einfluss auf die Entwicklung bzw. das Überleben zu haben scheinen. Der oder die einzelne kann sich vor allem seinem eigenen Krisenerleben gewahr werden und die Frage stellen, welche Fähigkeiten dabei hilfreich waren, und welche nicht. Dies gibt Aufschluss über das individuelle oder kollektive Zusammenspiel von Risiko, Krise und Bewältigung. Nach Antonovsky (1997) gibt es drei Voraussetzungen, um Resilienz zu verwirklichen: Erlebtes zu verstehen, es handhaben zu können und das Erleben von Sinnhaftigkeit. In der aktuellen Krise gibt es Chancen dafür:
Viele Menschen haben nach kurzer Zeit verstanden, warum wir eine Zeit lang zuhause bleiben und physischen Abstand einhalten müssen. Sinnerleben ergibt sich für viele Menschen ganz persönlich (Sorge und Fürsorge für Angehörige und Nachbarn) – ist aber auch politisch vermittelbar: wenn wir die positiven Auswirkungen der aktuellen (sehr einschränkenden) Maßnahmen erkennen können, wird unmittelbar deren Sinn ersichtlich. Die meisten Menschen überwinden so auch die sonst typischen Abwehrreaktionen, die sich bei dem Entzug persönlicher Freiheiten ansonsten einstellen können. Es gibt auch hier prominente Gegenspeile – es sei nur das Stichwort der Corona Partys genannt.
Das Gefühl der Handhabbarkeit ist derzeit für den Einzelnen unterschiedlich: möglicherweise erleben Ärzt*innen ebenso wie Verkäufer*innen gerade in besonderer Weise die Bedeutung ihrer Kompetenz für unser System – mehr, als Betreiber*innen von Discotheken. Wer sich nun um einen Angehörigen kümmert (für ihn einkauft, Skype einrichtet usw.) erlebt die Handhabbarkeit mehr, als jemand, der alleine zuhause ist. Die reale Handhabbarkeit der Situation hängt aber für jede*n, egal welcher Berufsgruppe, zentral von einem guten Krisenmanagement durch die Politik ab. Ohne eine ausreichende medizinische Infrastruktur kann die*der beste Mediziner*in keine Handhabbarkeit erleben. Die Bundesregierung spielt hier eine positive Rolle, indem sie die Vorschläge der Wissenschaft ernst nimmt und in entschlossene Entscheidungen einbindet: also Handlungsfähigkeit signalisiert. Sie bietet uns so außerdem die nötige Orientierung: Die aktuellen Einschränkungen und Regeln der Bewegungsfreiheit gelten für alle.
Wenn wir erfolgreiche Bewältigungsmechanismen haben, kommt es häufig zu einer Neubewertung von Ereignissen („Reappraisal“; Lazarus, 1999). Wir finden aktuell „Held*innen“ an Stellen, an denen wir vorher nie nach ihnen gesucht haben. Die Ärzt*innen, die Krankenpfleger*innen, die an der Front stehen – das ist das eine. Sie sind natürlich die offensichtlichen Held*innen. Aber es gibt mehr: Wir bewundern auch die Supermarktkassierer*innen, die Pizza-Lieferant*innen, die DHL-Mitarbeiter*innen… All sie leisten wertvolle Beiträge. Plötzlich denken wir neu darüber nach, was eigentlich diese sogenannten „systemrelevanten“ Berufe sind und dies kann zu einem Sinneswandel führen: Wir verstehen plötzlich, was uns wirklich wichtig ist: die eigene Gesundheit und die Gesundheit von Nahestehenden, Zeit mit unseren Liebsten, Spaziergänge in der Natur,…
Durch dieses Umdenken und das gemeinsame Handeln können neue soziale Normen und Narrative entstehen, welche uns bei einem resilienten Umgang mit zukünftigen Krisen helfen können: zum Beispiel Solidarität oder Kooperationsfähigkeit.
Alle Krisen sind bedrohlich, sie alle bedrohen unser Leben und unseren „way of life“. Im Umgang mit ihnen allen, können wir lernen, als globale Gemeinschaft zusammenzuhalten, Solidarität zu zeigen und unsere individuelle und kollektive Resilienz zu entwickeln. Dies hilft uns den akuten Herausforderungen der Klimakrise zu begegnen und weiterhin für eine Transformation auf der globalen Ebene zu kämpfen.
Autor/-innen: Pia Niessen, Katharina van Bronswijk, Felix Peter
Linktipp:
- Vortrag „Klimaresilienz – Hoffnung durch Handeln“ von Anna Pribil (Youtube-Video)
Quellen
- Alliger, G. M., Cerasoli, C.P., Tannenbaum, S. I. & Vessey, W. B. (2015): Team resilience: How teams flourish under pressure. In: Organ Dyn 44 (3), S. 176–184. DOI: 10.1016/j.orgd
- Antonowsky, A. & Franke, A.(1997). Salutogenese, zur Entmystifizierung der Gesundheit. Tübingen, Dgvt-Verlag
- Wilson, G.A. (2014) Community resilience: path dependency, lock-in effects and transitional ruptures, Journal of Environmental Planning and Management, 57:1, 1-26, DOI: 10.1080/09640568.2012.741519