Verhaltenstherapeutische Sicht
Change is coming, whether you like it or not!“ (G. Thunberg)
Leugnung aus kontextuell verhaltenstherapeutischer Sicht – Das A-B-C menschlichen Verhaltens
Dipl.-Psych. Dr. Claudia China, Psychologische Psychotherapeutin/Supervisorin VT
Wenn auch nur die Möglichkeit besteht, dass die Prognosen zum Klimawandel zumindest teilweise zutreffen und wir Menschen demnach gerade dabei sind unsere Lebenswelt zu zerstören, dann müsste das doch Anlass sein, unser Verhalten wenigstens sicherheitshalber zu ändern.
Das tun viele Menschen aber offenbar weiterhin nicht oder nicht in ausreichendem Ausmaß, und es stellt sich die Frage: Warum verhalten sich intelligente Menschen so unvernünftig?
Tatsächlich gehören irrationales Verhalten und die Leugnung bestehender Risiken zum Menschsein einfach dazu: Wir rauchen, trinken Alkohol, essen zuviel, bewegen uns zu wenig etc.. Viele Religionen haben im Kern das Versprechen, den Tod zu überwinden, d.h. eine der Basis-Erfahrungen des Lebens zu leugnen, dass wir alle sterben müssen. Mit Gebeten und Ritualen versuchen Menschen seit Jahrtausenden Einfluss zu nehmen auf eine Welt, die von Vergänglichkeit, Unsicherheit, Komplexität und Vieldeutigkeit geprägt ist. Menschliches Verhalten ist komplex und immer nur im persönlichen Kontext zu verstehen (Gifford & Hayes, 1999). Dabei lohnt sich ein Blick darauf, wie wir lernen, und was unser Verhalten steuert.
Allen fühlenden Organismen ist gemeinsam, angenehme Erlebnisse anzustreben und unangenehmes Erleben vermeiden zu wollen. Dabei spielt eine Rolle, wie unmittelbar und regelmäßig eine Konsequenz auf ein Verhalten folgt (Skinner, 1938). Die hungrige (Hunger = Antezendens = A) Laborratte, die beim Erkunden ihrer Umwelt aus Versehen auf einen Knopf drückt (Verhalten = B) und daraufhin Futter bekommt (Konsequenz = C), wird diesen Knopf in der Folgezeit häufiger drücken, wenn sie Hunger hat. Der Knopf hat nach dieser Erfahrung für die Ratte eine Funktion bekommen, die ihn mit attraktiver Nahrung (positive Konsequenz = „Verstärker“ C+) in Verbindung bringt. Die schlecht gelaunte (A) Raucherin, die eine Zigarette raucht (B), wird zuverlässig dafür belohnt, indem ihre Befindlichkeit sich unmittelbar verbessert (C+). Die an sich giftige Zigarette hat für diese Person die Funktion bekommen, beim Rauchen angenehm beruhigende oder anregende Empfindungen hervorzurufen. Kurzfristige Konsequenzen sind sehr wirksam verhaltenssteuernd. Vor diesem Hintergrund ist das Leugnen (B) einer ängstigenden Bedrohung wie der Klimakatastrophe (A) naheliegend: Wir müssen uns nicht dem unangenehmen Erleben hilfloser Angst aussetzen oder – vielleicht noch schlimmer – Scham über unsere Ignoranz und unser Verhalten erleben (Wegfall negativer Konsequenz = Verstärker C/-).Wenn wir für unser Verhalten belohnt („verstärkt“) werden, dann neigen wir dazu, es zu wiederholen. Das ist normal.
Aber Menschen können mehr: Wir lernen nicht nur durch eigene Erfahrungen, sondern auch durch die Kommunikation der Erfahrungen und Gedanken anderer Menschen. Durch unsere Sprache und unser Denken (vgl. Skinner, 1957) können wir darüber hinaus willkürlich Zusammenhänge herstellen und Dingen ganz neue Bedeutungen geben, die weit über unsere eigene Erfahrung hinausgehen oder dieser sogar entgegengesetzt sind (vgl. Gross & Fox, 2009).. Wir lernen Regeln und befolgen diese oft auch dann noch, wenn sie offenbar gar nicht zutreffen. So bestellten die ersten britischen SiedlerInnen in Neufundland das Land wie von zuhause gewohnt, da sie sich auf etwa dem gleichen Breitengrad befanden und davon ausgingen, dass das Wetter ähnlich wie zuhause sein müsse. Erst viele Missernten und Tote später lernten sie, dass Wetter keine Funktion des Breitengrads ist und Neufundland tatsächlich viel kälter als ihre Heimat ist (Kupperman, 1982). Die Breitengrad-Regel war nicht nur nicht hilfreich, sondern verhinderte angemessenes Verhalten. Wir alle neigen dazu an einmal gelernten Regeln festzuhalten („Ich bin zu klein und bedeutungslos, um Einfluss zu nehmen. Sicher wird der technische Fortschritt den Klimawandel in den Griff bekommen.“). Gewohnheiten sind schwer zu überwinden („Ja, Milch trinken ist nicht gut, aber Kaffee ohne Milch schmeckt nun mal nicht!“). Insbesondere unsere spontanen Denkprodukte und Entscheidungsprozesse sind extrem fehleranfällig, d.h. oft sehr unvernünftig (vgl. Kahnemann, 2016). Soziale Normen und das Verhalten der Menschen in unserem Umfeld spielen dabei eine große Rolle. In einem bekannten Experiment wurden die Teilnehmenden in einen Raum gebracht, in den nach einiger Zeit Rauch strömte. Waren die Personen allein im Raum, verließen sie ihn, nachdem sie den Rauch bemerkt hatten. Waren aber weitere Personen im Raum, die untätig blieben, so entschieden sich auch die Versuchspersonen zu bleiben (Latane & Darley, 1969). Solange so viele Menschen auf Greta Thunbergs „I want you to panic!“ mit abwartender Gelassenheit reagieren, kann es schwer sein sich selbst anders zu verhalten.
Aber Sprache und Denken sind sehr hilfreich, wenn wir uns z.B. vorstellen, wie etwas in der Zukunft sein wird und wie wir uns dann fühlen werden (vgl. Hayes, Barnes-Holmes & Roche, 2001). Obwohl ein Zahnarztbesuch (A) vielleicht unangenehm und ängstigend ist, können wir uns behandeln lassen (B), weil wir uns vorstellen können, wie attraktiv und angenehm langfristig ein gesundes Gebiss ist (C+). Wir könnten unser tobendes Kleinkind an der Supermarktkasse (A) leicht beruhigen (C/-), wenn wir ihm die gewünschte Schokolade kaufen (B). Aber wir können auch Kontakt aufnehmen zur Liebe zu unserem Kind (C+) und die Bereitschaft aufbringen, die unangenehme Situation durchzustehen, weil es besser für unsere und die Zukunft unseres Kindes ist (C+). Die Bereitschaft, das aversive Erleben akzeptierend in Kauf zu nehmen, können wir aufbringen, wenn es uns gelingt Kontakt zu unseren Werten (C+) aufzunehmen.Wenn wir das Handeln nach unseren Werten als kraftvolle positive Konsequenzen (C+) wahrnehmen, entsteht daraus die Energie, die wir brauchen, um mit unangenehmen Wahrheiten wie der Klimakatastrophe umzugehen und unser bisher so bequemes, aber langfristig schädliches Verhalten zu verändern.
Persönliche Werte sind vielfältig, und manchmal braucht es Mut, um Kontakt mit ihnen aufzunehmen. Wenn jemand oder etwas für mich bedeutsam ist, mache ich mich damit angreifbar und verletzlich. D.h. wenn ich Dankbarkeit für meine Lebenswelt empfinde, dann fühle ich den Schmerz und die Trauer, sie in Gefahr oder schon verloren zu sehen. Die Identifikation und die Kontaktaufnahme mit persönlichen Werten gelingt am ehesten in einer von Offenheit, Respekt und gegenseitiger Wertschätzung geprägten Atmosphäre, in der die Beteiligten bereit sind, berührt und verletzlich zu sein. Freundliches Mitgefühl mit uns selbst und anderen hilft. Empfundene und sogar bei anderen beobachtete Dankbarkeit (C+) lässt Menschen eher bereit sein aktiv zu helfen (Algoe, Dwyer, Younge & Oveis, 2019).
Im Umgang mit unserer menschlichen Neigung, die Folgen der Klimakatastrophe zu verleugnen, brauchen wir zunächst immer wieder absichtsvolle Bewusstheit: Wo lassen wir uns selbst von angenehmen, kurzfristigen Konsequenzen leiten und leugnen die unmittelbar nicht spürbaren schädlichen Konsequenzen und unsere Verantwortung? Noch ein T-Shirt („Ja, das ist nicht gut – aber ich habe nicht die Zeit jede Woche zu waschen.“), der Kaffee to go („Ja, – aber ich habe es einfach nicht mehr geschafft mir selbst Kaffee zu kochen, und ich brauche morgens meinen Kaffee.“), der schicke moderne SUV („Ja, – aber der alte VW-Bus der Landfreaks da drüben verbraucht viel mehr Sprit…“), usw.. Wahrzunehmen, dass alle Menschen diese Neigungen haben, hilft dabei freundlich zu bleiben und Konversationen positiv, d.h. verstärkend zu gestalten.
Dann brauchen wir den Mut und die Bereitschaft Kontakt mit unseren persönlichen Werten aufzunehmen und uns dem Schmerz auszusetzen, dass unsere Lebenswelt in Gefahr und möglicherweise nicht mehr zu retten ist. Wer und was also liegt uns wirklich am Herzen? Wofür sind wir bereit uns wirklich einzusetzen und vielleicht sogar Opfer zu bringen? Ich liebe meine Kinder, ich möchte, dass sie sicher leben können (C+). Ich schätze es sehr, mit anderen Menschen friedlich und unterstützend zusammen zu leben (C+). Ich staune über unsere genialen Ökosysteme mit ihrer Vielfalt von Organismen, Tieren und Pflanzen und bin glücklich, wenn ich ihre Schönheit erlebe (C+). Ich bin ein Teil dessen, was wir gerade kaputt machen. Wenn ich daran denke, habe ich Angst und bin traurig und ich möchte tun, was ich kann, um unsere Lebenswelt zu erhalten (C+).
Und wir brauchen den Mut und die Bereitschaft nicht nur uns selbst verantwortlich zu fühlen und uns entsprechend zu verhalten, sondern es auch anderen Menschen zu erleichtern. Wir können daran arbeiten soziale Normen infrage zu stellen und zu verändern, und wir können mit anderen Menschen in wertschätzender und mitfühlender Weise kommunizieren. Menschen werden mit dem Bedürfnis geboren zu kooperieren, schon Kleinkinder wollen helfen (Warneken & Tomasello, 2009). Es macht uns glücklich, uns aus freiem Willen für das, was wir lieben, einzusetzen (C+). Als soziale Wesen fühlen wir uns in einer Gruppe sicherer (C+). Soziale Unterstützung ist ein entscheidender gesundheitlicher Schutzfaktor, gerade in bedrohlichen Situationen (Ditzen & Heinrichs, 2007). Gleichzeitig besteht aber auch das Risiko, von anderen kritisiert zu werden und Scham zu empfinden. Letzteres ist für die meisten Menschen extrem aversiv. Vorhaltungen, Beschuldigungen, etc. sind also eher kontraproduktiv, „Wir Rechtschaffenen gegen Euch Ignoranten“ ist im persönlichen Kontakt nicht zielführend.
Max Frisch formuliert den sinnvollen Umgang mit Leugnen treffend: „Man sollte die Wahrheit dem anderen wie einen Mantel hinhalten, dass er hineinschlüpfen kann – nicht wie ein nasses Tuch um den Kopf schlagen.“
Aus verhaltenstherapeutischer Sicht ist im Umgang mit Leugnen also alles interessant, was Menschen aufgeschlossen dafür macht, in Kontakt mit ihren persönlichen Werten und den auch langfristigen Konsequenzen des eigenen Verhaltens zu treten, z.B.:
- Im Gespräch authentisch und wertschätzend sein. Alle haben ein Recht auf ihre Sichtweise und Gefühle. (Konkrete VT-konsistente Verhaltensvorschläge bietet z.B. https://www.regenwald-schuetzen.org/unsere-projekte/bildungs-projekte/systeme-verstehen/auf-social-media-kommentare-gekonnt-reagieren/)
- Neugierig auf die Perspektive der anderen sein und herausfinden, was ihnen am Herzen liegt. Die meisten Menschen sind sich letztendlich ziemlich ähnlich darin, was sie gern auf ihrem Grabstein stehen hätten. „X hat es stets verstanden ein bequemes Leben zu führen und hatte immer schicke Autos“ gehört sicher nicht dazu, aber „X hat liebevoll für ihre Familie gesorgt“ oder „X hat unermüdlich dafür gekämpft, dass unsere Welt lebenswert ist“ klingt schon besser.
- Soziale Unterstützung anbieten, soziale Normen verändern und Erfolge feiern. Auf einer Fridays Demo mitzugehen fühlt sich gut an (C+). Weit über 4000 UnterzeichnerInnen bei Psy4F fühlen sich sehr gut an (C++)!
Literatur
- Algoe S. B., Dwyer P.C., Younge A. & Oveis C. (2019). A new perspective on the social functions of emotions: Gratitude and the witnessing effect. J Pers Soc Psychol. doi: 10.1037/pspi0000202. [Epub ahead of print]
- Ditzen B. & Heinrichs M. (2007). Psychobiologische Mechanismen sozialer Unterstützung . Ein Überblick. Zeitschrift für Gesundheitspsychologie, 15, pp. 143-157. https://doi.org/10.1026/0943-8149.15.4.143
- Gifford, E.V. & Hayes, S.C. (1999). Functional contextualism: A pragmatic philosophy for behavioral science. In W. O’Donohue & R. Kitchener (Eds.), Handbook of behaviorism (pp. 285–327). San Diego: Academic Press.
- Gross A. C. & Fox E. J. (2009). Relational Frame Theory: An Overview of the Controversy. Anal Verbal Behav. 25(1): 87–98. doi: 10.1007/bf03393073
- Hayes, S.C.; Barnes-Holmes, D. & Roche, B. (Eds.). (2001). Relational Frame Theory: A Post-Skinnerian account of human language and cognition. New York: Plenum Press.
- Kahneman D. (2016). Schnelles Denken, Langsames Denken. München: Penguin Verlag
- Kupperman, K. O. (1982). The Puzzle of the American Climate in the Early Colonial Period. American Historical Review 87 (5): 1262–89.
- Latane, B., & Darley, J. (1969). Bystander „Apathy“. American Scientist, 57, 244-268
- Skinner F. B. (1938). The Behavior of Organisms. An Experimental Analysis. Cambridge: B. F. Skinner Foundation. www.bfskinner.org
- Skinner F. B. (1957). Verbal Behavior. Brattleboro/Vermont: Echo Point
Warneken & Tomasello (2009). The roots of human altruism. British Journal of Psychology, 100, 455-471